Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation
der einsilbig reagiert, verführt den einen zu dem Schluss: «Er wird müde sein», den anderen hingegen zu dem Schluss: «Klar – er mag mich nicht!» – Jemand gibt etwas von sich, und die anderen lachen. Der eine interpretiert dieses Lachen als den Ausdruck von Amüsiertheit über seinen Scherz, der andere fühlt sich ausgelacht.
Vor allem implizite Beziehungsbotschaften lassen dem Empfänger einen breiten Deutungsspielraum. Aber auch explizite, eindeutige Beziehungsbotschaften «Du bist ein Egoist» oder «Du bist ein ganz großer Gelehrter!» determinieren noch keineswegs den Empfang – zwei verschiedene Empfänger können bei ein und derselben Nachricht seelisch sehr unterschiedliche Erfahrungen machen. So mag der eine die Du-Botschaft als ein Faktum nehmen und innerlich reagieren: «So einer bin ich also» – ein anderer Empfänger mag die ankommende Nachricht mehr als eine Selbstoffenbarung des Senders auffassen («Was mag mit ihm los sein, dass er zu einem solchen Urteil über mich kommt?»). Freilich sind kleine Kinder kaum in der Lage, Du-Botschaften mit dem Selbstoffenbarungs-Ohr zu empfangen (vgl. S. 59f.).
Es gibt auch genug Möglichkeiten, positive Beziehungsbotschaften abzuwehren. Z.B. wird jemand gelobt. Dieses Lob passt nicht in sein niedriges Selbstkonzept. Er reagiert: «Das sagst du nur, um mich zu trösten.»
In den Dienst der Selbstkonzept-Bewahrung können auch sog. Kausalattribuierungen (Ursachen-Zuschreibungen) treten. Erfolge und Misserfolge lassen sich durch folgende vier Verursachungsfaktoren (Heckhausen 1974) erklären:
Fähigkeit
Anstrengung
Aufgabenschwierigkeit
Zufall
So kann jemand mit einem niedrigen Selbstkonzept Erfolge etwa auf das Konto des Zufalls buchen («Blindes Huhn findet auch mal ein Korn») – schon verliert der Erfolg die Qualität eines korrigierenden Erlebnisses. Dagegen werden Fehlschläge sofort der eigenen Unzulänglichkeit angelastet.
Für Lehrer und Eltern als Kommentatoren von Schülerleistungen ergibt sich aus diesen Gedanken die Möglichkeit, durch konstruktive Kausalattribuierungen auf das Selbstkonzept der Schüler ermutigenden Einfluss zu nehmen.
Das folgende Schaubild (Abb. 70) illustriert den Mechanismus der Erfahrungsverzerrung unter der Regie des Selbstkonzeptes:
Abb. 70:
Erfahrungsverzerrung infolge einer «Brille» im Dienste der Selbstkonzept-Bestätigung.
5.4
Vermeidungen und Verzerrungen von inneren Erfahrungen
Zu den erstaunlichen Entdeckungen der Psychotherapieforschung gehört, dass das Selbstkonzept nicht nur die Erfahrungen der Außenwelt «macht» bzw. vermeidet, sondern genauso auch der Innenwelt. Gefühle, die uns nicht «in den Kram» (= in unser Selbstkonzept) passen, dringen nicht bis ins Bewusstsein vor und können auch nicht direkt kommuniziert werden. Nehmen wir noch einmal das Beispiel von S. 132f. – der betroffene Mitarbeiter rief in der Arbeitsbesprechung erregt: «Ich ärgere mich überhaupt nicht! Im Gegenteil, mich amüsiert das Ganze!» Dieser Mitarbeiter ist sich seiner Verletztheit und seines Ärgers nicht gewahr: Diese Gefühle passen nicht zum Selbstbild eines starken Mannes, der souverän über der Sache steht und nicht «auf jede Kleinigkeit» empfindlich reagiert.
Nicht-linientreue Gefühle. Es sind diese «nicht-linientreuen Gefühle» , wie ich sie nenne, die wir gerne ausblenden und nicht hochkommen lassen. So mögen Enttäuschungen und Verdruss nicht zum Konzept der Verliebten passen; so mögen Ärger und Hass nicht zum Selbstkonzept eines «friedfertigen und verständnisvollen Familienvaters» passen; so mag Eifersucht nicht in das Konzept von jemandem passen, der in menschlichen Beziehungen keine Besitzansprüche gelten lassen mag; und Traurigkeit passt nicht zum Selbstkonzept eines «lustigen Vogels, der alles mit Humor nimmt».
Dieses Nicht-wahrhaben-Wollen von nicht-linientreuen Gefühlen bedeutet letztlich, dass wir wichtigen Teilen unserer Person ablehnend gegenüberstehen und viel seelische Energie zur Abwehr dieser Gefühle verbrauchen. Durch Psychotherapie kann eine «zunehmende Offenheit gegenüber der (inneren) Erfahrung» (Rogers 1979) nach und nach erzielt werden:
«Der Prozeß scheint vor allem eine zunehmende Offenheit gegenüber der Erfahrung einzuschließen. Dieser Satz hat mit der Zeit immer mehr an Bedeutung für mich gewonnen. Er bezeichnet das genaue Gegenteil von Abwehrhaltung. Ich habe früher den Begriff Abwehrhaltung als die Reaktion des Organismus auf
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