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Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Titel: Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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«gesunden» Selbstwertgefühls die Wertschätzung anderer unabdinglich. Man könnte deshalb dem fragenden Seminarteilnehmer folgenden Rat geben:
 
     
Versuchen Sie, eine engere menschliche Beziehung zu Friedrich herzustellen.
Lassen Sie ihn immer wieder merken, daß Sie ihn nicht nur als begabten Konstrukteur, sondern auch als Menschen schätzen.
Lassen Sie sich ab und zu von ihm ‹beraten› auf Gebieten, die nicht zu seiner Arbeit gehören, wo er sich aber als Fachmann fühlt: z.B. in der Herrenmode oder beim Autokauf.
Veranlassen Sie seine Mitarbeiter, ihn zu privaten Gruppenaktivitäten einzuladen, z.B. zum regelmäßigen Kegelabend.
Schicken Sie ihn in ein paar gute Seminare, die das Sensitivity-Training zur Grundlage haben.
Stellen Sie ihm eine glänzende Karriere innerhalb der Firma in Aussicht und lassen Sie gleichzeitig durchblicken, daß er dazu noch etwas in Richtung ‹Menschenführung› dazulernen müßte.»
    Was sind die Bestandteile dieses Gefüges von Ratschlägen und vermittelten Grundhaltungen?

    1. Psychologisierung sachlicher und gesellschaftlicher Probleme. Die Enttäuschung des Mitarbeiters Friedrich wird mit keinem Wort auf dem Hintergrund der sachlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten analysiert (auf dem die Enttäuschung als verständliche und angemessene Reaktion erscheint), sondern lediglich auf dem Hintergrund seiner «Persönlichkeitsstruktur».

    2. Anleitung zu vulgärer Persönlichkeitspsychodiagnostik. Statt den Leser anzuleiten, den Gesprächspartner in seinen Haltungen zu verstehen, wird der Leser angehalten, seinen Gesprächspartner zu analysieren. Statt den Leser anzuleiten, bei sich selbst zu schauen («Wie stelle ich mich zu dieser Situation, welche Gefühle, Interessen habe ich?») und so eine klare Ich-Aussage vorzubereiten, wird sein Blick auf den anderen (ab-)gelenkt.

    3. Pathologisierung des Gesprächspartners. «Wie die Dinge liegen, ist Friedrich reif für eine psychotherapeutische Behandlung» – so schnell geht das, und ohne den Mann überhaupt einmal gesehen oder gar gesprochen zu haben. Eine klare Sach- und Beziehungsaussprache ist mit diesem erzeugten «Bild vom anderen» abermals sabotiert.

    4. Der Gesprächspartner als Behandlungsobjekt. Die «Lösungen» enthalten folgerichtig keine Anleitung für eine Auseinandersetzung zwischen zwei gleichwertigen Subjekten, sondern Anleitungen zur psychologisch «geschickten» Behandlung eines (kranken) Objektes.

    5. Verlogene Funktionalisierung (mit-)menschlicher Werte. Die Achtung und Wertschätzung des Mitmenschen wird – nachdem sie in der Beratungssituation systematisch untergraben worden ist – nun in heuchlerischer Weise wieder eingeführt – als Täuschungsmanöver und Mittel zum Zweck.

    Es mag tröstlich sein, dass eine derartige konfliktverschleiernde Sozialtechnologie nicht erfolgreich sein kann. Sie ist nicht einmal im wohlverstandenen Interesse des ratsuchenden Haupt-Abteilungsleiters: Zum einen ist der «Funktionalitätsverdacht» bei unterstellten Mitarbeitern durchaus ausgebildet und verbreitet – sie «riechen den Braten»; jede Sekretärin hat schnell heraus, ob ein freundlicher Ton nur eine Art Schmieröl auf der Beziehungsebene darstellt, um den Motor der Arbeitsmotivation in Gang zu halten, oder ob er «gedeckt» ist durch achtungsvolle strukturelle Bedingungen und menschliche Haltungen. Zum anderen: Selbst wenn es gelingen sollte, den Mitarbeiter durch die empfohlenen Behandlungstechniken bei Laune zu halten – ist nicht der Preis zu hoch? Stellt nicht die Würdelosigkeit des Tuns und die Pervertierung mitmenschlicher Beziehungen einen Verrat an der eigenen Seele dar, der noch im Diesseits ein Fegefeuer persönlicher Krisen und Sinnverfehlungen zu entfachen droht?
    Diese Gedanken mögen dazu beitragen, den Psychologen davor zu bewahren, unversehens einer Dienstleistungserwartung im Sinne der Punkte 1–5 zu erliegen und somit seine ureigene Aufgabe als Anwalt eines menschenwürdigen Seelenlebens zu verfehlen.

IV.
    Die Appellseite der Nachricht
    Kommunikation heißt auch immer: Einfluss nehmen. Auf den ersten drei Seiten der Nachricht drückt der Sender aus, was mit ihm selbst, mit der Beziehung zum Empfänger und mit der Welt los ist. Auszudrücken, was ist – das ist die eine Funktion der Kommunikation. Die andere Funktion besteht darin, Wirkungen zu erzielen, einen Zustand hervorzubringen, der noch nicht ist, oder einen Zustand zu verhindern, der einzutreten droht. Die

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