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Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Titel: Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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«drückt er auf die Tränendrüse», um seine Ziele mit emotionalen Mitteln zu erreichen? – Oder, so mag sich ein Mitarbeiter fragen, lobt mich der Chef, weil er Freude an meiner Leistung hat, oder hat er in einem Kursus zur Motivationstechnik gelernt, dass ein Lob zur Leistungssteigerung beiträgt? In Abb. 75 ist dieser Gedanke in einem Schaubild veranschaulicht.

    Abb. 75:
    Beispiele für Verhaltensweisen, die mehr oder minder ausdrucks- oder wirkungsorientiert a) gesendet, b) empfangen werden können.
    I. Langer spricht von «Funktionalitätsvergiftung», wenn der Sender seine Kommunikation überwiegend wirkungsorientiert anlegt oder (was ebenso vergiftend ist) der Empfänger dies unterstellt. So haben wir immer wieder erlebt: Wenn wir als Psychologen Trainingskurse gaben, dann unterstellten uns die Teilnehmer zu Beginn des Kurses in allem, was wir taten, heimliche Absichten. Selbst kleine Nachlässigkeiten (z.B. Schreibfehler an der Wandtafel) wurden heimlich unter dem Gesichtspunkt geprüft: «Was mögen sie damit erreichen wollen – sollen wir getestet werden?» Bevor die Beziehung nicht geklärt und Vertrauen nicht geschaffen ist, lässt sich ein solcher Funktionalitätsverdacht nicht einfach ausräumen. Wenn wir erklärten, dieser oder jener Fehler sei uns völlig absichtslos unterlaufen, dann wurde das Bekenntnis zur eigenen Fehlbarkeit als «noch besserer Trick» gewertet und der Funktionalitätsverdacht geradezu erhärtet.
    Aus dem bisher Gesagten soll nicht der Eindruck entstehen, dass die ausdrucksorientierte Kommunikation die ehrlichere, «bessere», hingegen die wirkungsorientierte Kommunikation «falsch», manipulativ und grundsätzlich schlechter wäre. Beide Kriterien haben ihre Berechtigung und die Vernachlässigung jeweils eines ist zum Schaden. Wer (bewusst oder unbewusst) nur auf Wirkung orientiert ist und dabei den authentischen Ausdruck vernachlässigt, entfremdet sich von sich selbst und von anderen, macht den Mitmenschen zum bloßen Objekt der Behandlung, der Manipulation. Wer nur auf den Ausdruck orientiert ist und sich nicht darum kümmert, was er damit anrichten könnte, handelt unverantwortlich, wird unter den Wirkungen zu leiden haben und verzichtet darauf, seine Sache zur Geltung zu bringen und Einfluss zu nehmen. Zwar wird in guten Beziehungen die Ausdrucksorientierung mehr und mehr überwiegen. Grundsätzlich aber gilt, dass es auf die geglückte Balance ankommt. Tatsächlich gehen die Bemühungen um «gute Kommunikation» in die Richtung von Kompromissbildungen: «Ich möchte sagen, was mich ärgert (= Ausdruck), aber ohne den anderen zu verletzen (= Wirkung).» Ruth Cohns Begriff der «selektiven Authentizität» (vgl. S. 136) enthält ebenfalls diesen Balancegedanken: Authentizität verweist auf den Ausdrucksaspekt, dagegen kommt in dem Begriff der Selektivität die Sorge um die Wirkung zur Geltung.

    Zwei Arten von Kommunikationstrainings. Idealtypisch lassen sich zwei Arten von Kommunikationstrainings unterscheiden: Die eine, welche die Wirkungskompetenz, die andere, welche die Ausdruckskompetenz steigert. Mit Wirkungskompetenz ist gemeint: So kommunizieren, dass die gewünschte Wirkung am ehesten erreicht wird. So lernt man etwa in Rhetorikkursen, sich selbst gut und gewandt darzustellen, sein Anliegen schlüssig vorzutragen, sodass der Empfänger beeindruckt bereit ist, appellgemäß zu reagieren. Ein Kursus für Manager mag unter dem Leitwort stehen: «Wie motiviere ich meine Mitarbeiter?» – Hier wird gelernt, so zu kommunizieren, dass die Mitarbeiter am ehesten bereit sind, ihre Arbeitskraft der Firma energievoll zur Verfügung zu stellen. Ein Extrembeispiel für ein wirkungsorientiertes Training habe ich an Hand von Birkenbihl (1973) auf S. 236ff. besprochen.
    Kurse dagegen, die tendenziell die Ausdruckskompetenz fördern wollen, sind mehr therapeutisch orientiert. Hier geht es darum, die Selbstwahrnehmung zu schärfen, mitzukriegen, was mit mir los ist, auf Körpersignale zu achten; hier geht es um die Fähigkeit zur Selbstoffenbarung und zum authentischen Sprechen. Die Betonung dieses Aspektes durch die Humanistische Psychologie ist in folgendem Zitat von Ruth Cohn (1981, mündlich) zu erkennen: «Dies ist mein Glaube: Wenn ich mich ausdrücke, ohne bewirken zu wollen, bewirke ich schon.»
    Gemäß dieser Leitidee sind unsere «Kommunikationstrainings» im Laufe der Zeit mehr und mehr ausdrucksorientiert geworden, obwohl dies den Erwartungen der Teilnehmer

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