Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation
Appellseite der Nachricht repräsentiert diesen Wirkungsaspekt. In diesem Kapitel wird von den Schwierigkeiten und Bemühungen die Rede sein, wirkungsvoll Einfluss zu nehmen; auch von den Widerständen eines Empfängers, der sich dem Einfluss entziehen will; und es wird von den Kunstfertigkeiten des Senders zu sprechen sein, die er erfindet, um sich dennoch – trotz des zu erwartenden Gegendruckes, den ein Appelldruck erzeugt – den Einfluss zu sichern. Im Einzelnen sollen
heimliche (verdeckte) Appelle
paradoxe Appelle
offene Appelle
in ihrem Wesen und ihrer Problematik beschrieben werden.
Zuvor jedoch möchte ich auf die eingangs erwähnte Grund-Antinomie der zwischenmenschlichen Kommunikation zu sprechen kommen.
1.
Ausdruck und Wirkung – zwei Funktionen der Kommunikation
Ich habe Jahre gebraucht, um in der komplizierten Vielfalt der Kommunikationsprobleme etwas sehr Einfaches, Grundlegendes zu entdecken. Ein Grunddilemma der zwischenmenschlichen Kommunikation sehe ich nun darin, dass es immer zugleich um Ausdruck und um Wirkung geht und dass Sender wie Empfänger vor der Wahl stehen, auf welchen Aspekt sie sich schwerpunktmäßig hin orientieren. Und dass Kommunikation eine ständige Kompromisssuche zwischen diesen beiden Anforderungen darstellt und die Balance zwischen den beiden Polen eine geglückte Kommunikation ausmacht.
Ich möchte genauer beschreiben, was mit den beiden Polaritäten gemeint ist. Kommunikation dient der Mitteilung dessen, was ist. Kooperation und Mitmenschlichkeit leben davon, dass wir uns gegenseitig auf dem Laufenden halten, was in uns vorgeht. Selbstausdruck und Anteilnahme gehören zu den vitalen Lebensbedürfnissen des Menschen.
So weit gut. Kommunikation dient aber nicht nur dem Ausdruck dessen, was ist, sondern auch der Hervorbringung dessen, was sein soll. Indem ich etwas von mir gebe, möchte ich etwas erreichen, etwas bewirken; z.B. den anderen trösten (= ihm bessere Gefühle machen), ihn bei Laune halten, ihn (nicht) verletzen, ihn zu bestimmten Taten bewegen, es mir mit ihm nicht verderben.
So weit auch gut. Zuweilen harmonieren Ausdruck und Wirkung in einer solchen Weise, dass die Ausrichtung auf das eine gleichzeitig eine optimale Ausrichtung auf das andere erlaubt. Beispiel: Ein Kind hat sich verletzt und drückt seinen Schmerz durch lautes Schreien aus; dieser Ausdruck von Schmerz ist gleichzeitig ein optimales Mittel für die erwünschte Appellwirkung: Alarmiert eilen die Eltern zur Hilfe herbei.
Aber keineswegs immer befinden sich Ausdruck und Wirkung in einer solchen Harmonie. So mag ein Kind bald lernen, dass der bloße Ausdruck des vorhandenen Schmerzes zuweilen nicht ausreicht, um die Umwelt in gewünschtem Maße zu mobilisieren. Und so schreit es dann bei einem kleinen Wehwehchen wie am Spieß. Hier fängt der Ausdruck an, um der Wirkung willen ein wenig korrumpiert zu werden. Die Korruption kann so weit gehen, dass bestimmte Gefühle (z.B. Trauer und Schmerz) wegen der katastrophalen Wirkung (Entzug von Liebe, Demütigungen) nicht mehr ausgedrückt, ja nicht einmal mehr gefühlt werden und stattdessen die «gute Miene zum bösen Spiel» zu einer unbewusst angelegten Charaktermaske wird.
Zwei Grundausrichtungen. Wiewohl wir annehmen können, dass wohl niemand auf der Welt nur ausdrucksorientiert oder nur wirkungsorientiert kommuniziert, sondern dass beide Ausrichtungen stets um ein ausbalanciertes Verhältnis ringen, möchte ich die beiden extremen Grundausrichtungen noch einmal deutlich herausstellen. Der ausdrucksorientierte Sender legt alles darauf an, das, was (in ihm) ist, auszudrücken; es kommt ihm nicht primär darauf an, eine bestimmte Wirkung zu erzielen – die Wirkung wartet er vielmehr ab und nimmt sie in Kauf.
Der wirkungsorientierte Sender hingegen fragt sich immer zunächst, teils bewusst, teils unbewusst: Was will ich erreichen bzw. verhindern? – und versucht dann, seine Nachricht so zu entwerfen, dass sie für diese Zielerreichung optimal erscheint. Die Antizipation der (vermutlichen) Wirkung ist primär handlungsleitend. Dabei nimmt er auch in Kauf, dass die Nachricht unter Umständen nicht das ausdrückt, was ist. Hier zählen Takt und Taktik, während bei der Ausdrucksorientierung Stimmigkeit und Wahrheit zum entscheidenden Kriterium werden.
Für den Empfänger kann die Frage sehr wichtig werden, ob der Sender ausdrucks- oder wirkungsorientiert kommuniziert. Weint der Sender, weil ihm einfach traurig zumute ist, oder
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