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Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Titel: Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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fühlt sich von ihrem Vorgesetzten von oben herab («wie der letzte Dreck») behandelt und übermäßig ausgenutzt. Sie traut sich nicht, dagegen anzugehen und ihre Rechte zu vertreten. Ihr Mann sagt: «Du darfst dir das nicht bieten lassen! Sag ihm einfach deine Meinung.» Die Frau: «Ich bring es nicht fertig. Wenn ich etwas sagen will, kriege ich schon vorher solches Herzklopfen und bringe dann kein Wort heraus.» Der Mann: «Du musst versuchen, ganz ruhig zu sein! Der kann dir doch gar nichts anhaben …» usw. So vernünftig die Argumente des Mannes auch sind: Wo die Angst in den Eingeweiden wohnt, hat die Vernunft keinen Zutritt. Eher erreichen die Appelle das Gegenteil: eine erneute Begegnung mit dem eigenen Unvermögen und eine verstärkte Entmutigung. – Halten wir fest: Wenn jemand Probleme mit sich selbst hat, wenn er auf Grund gefühlsmäßiger innerer Vorgänge sich ungünstig verhält, dann nützen keine Ratschläge, Empfehlungen und Ermahnungen. Sie nützen nicht nur nichts, sondern schaden sogar. Dies ist der Grund, warum ein Gesprächs-Psychotherapeut sich appellfrei verhält (vgl. Tausch 1979). Stattdessen hört er zu, versucht auf die Probleme einzugehen und sich in die Welt des Senders einzufühlen. In einem solchen therapeutischen Gespräch hat der Klient eine bessere Chance, an sich zu arbeiten und die inneren Barrieren abzubauen, die ihn daran hindern, das zu tun, was er vernunftsmäßig als richtig erkannt hat.
    Genauso wenig wie gute Ratschläge ein therapeutisches Gespräch ersetzen, ersetzen sie soziale Lernvorgänge. Manche Erzieher verlangen von ihren Kindern, dass sie sich «anständig benehmen», und haben dabei recht komplexe Verhaltensweisen vor Augen: Z.B. für lange Zeit ruhig auf dem Stuhl zu sitzen, dem Gesprächsverlauf zu folgen, die eigene Meinung zu sagen und dabei auf den Vorredner Bezug zu nehmen, eine höfliche Form zu wahren usw. – Dies alles sind Verhaltensweisen, die gelernt und eingeübt sein wollen.
    Niemand käme auf die Idee, von einem Kind zu verlangen, es möge die dritte Wurzel aus 369 ziehen, ohne ihm vorher ein entsprechendes Curriculum zu bieten. Hingegen scheint ein «anständiges Betragen» für viele Erzieher nicht eine Sache des schrittweisen Einübens als vielmehr eine Sache der Moral und des guten Willens zu sein. Erst langsam setzt sich die Einsicht durch, dass störendes Betragen nicht so sehr auf durch Strafpädagogik zu bekämpfender Bosheit beruht, sondern schlicht auf einem Lerndefizit, für das eine moderne, humanistische Pädagogik Angebote zum sozialen Lernen bereitzuhalten hat. So gibt es Hinweise dafür, dass die «Raufbolde» unter den Schülern nicht so sehr einem vergrößerten «Aggressionstrieb» unterliegen, sondern dass ihnen schlicht keine Möglichkeiten der verbalen Auseinandersetzung zur Verfügung stehen. Wo faires Streiten weder im Elternhaus noch in der Schule auf dem Stundenplan gestanden hat, wird die Prügelei unter Umständen zum Kommunikationsersatz.
    2.3
    Appelle als Diebstahl eines Urhebererlebnisses
    Ein 14-jähriger Knabe, dessen Eltern das Wochenende auswärts verbringen wollten, hatte sich vorgenommen, den Garten umzugraben, um seinem heimkehrenden Vater eine freudige Überraschung zu bereiten. Beim Abschied sagte der Vater: «… und solltest du ganz große Langeweile haben, dann kannst du ja vielleicht einmal den Garten umgraben.» – Ein innerer Aufschrei der Enttäuschung – alles war verdorben. Der Junge konnte den Garten nicht umgraben, da ihm diese Handlung durch den Appell entwertet war.
    Allgemein ausgedrückt: Eine Handlung ändert ihre psychologische Qualität, sobald sie appellgemäß erfolgt – wir werden auf diese belangvolle Tatsache noch zurückkommen. Es scheint ein grundlegender Wunsch von Menschen zu sein, sich zumindest in einigen Lebensbereichen als Urheber der eigenen Handlung zu fühlen, nicht weisungsgemäß, sondern selbstinitiiert zu handeln. Der gut gemeinte Appell beraubt den Empfänger dieses Urhebererlebnisses. Wenn durch ein lückenloses System von Regeln und Geboten die «guten Taten» vorgeschrieben sind, werden sie auf diese Weise eher gehindert als gefördert. Wenn alles Gute schon vorgeschrieben ist, weichen Jugendliche auf der Suche nach dem Urhebererlebnis auf infantiles oder destruktives Verhalten aus – die «Heldentat» erträgt keine Weisung.
    2.4
    Appelle machen spontanes Verhalten unmöglich
    Wir haben im letzten Abschnitt gesehen, dass manche Handlungen sozusagen

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