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Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Titel: Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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Gehabe. Sie haben schnell heraus, was Mutter oder Vater besonders «auf die Palme bringt». – Erneut stellt sich für den Empfänger die Frage: Wie soll ich reagieren, soll ich das Spiel mitspielen?

    Allerlei Hilflosigkeiten, Unfähigkeiten und Schwächen. Auf der Selbstoffenbarungsseite haben wir die Plusmacherei kennengelernt: Imponiergehabe und das Verbergen von Schwächen und Fehlern. Zuweilen aber wird auf der Selbstoffenbarungsseite ganz das Gegenteil gesendet: «Mit mir ist nichts los!» – «Ich kann das nicht!» – «Ohne dich wäre ich aufgeschmissen!» – vgl. S. 127f.
    Entmutigte Menschen setzen einiges daran, ihre Mitmenschen (und sich selbst) von ihrer Unfähigkeit zu überzeugen – ihre «Schwäche» fordert appellativ die «Stärke» der anderen heraus und erweist sich so als eigentlich recht stark und machtvoll.
    3.1
    Was macht verdeckte Appelle so vorteilhaft?
    Warum sind Appelle «auf leisen Sohlen» derart an der Tagesordnung? Welche Vorteile wiegen den Nachteil auf, dass sie sich als für den Empfänger zu leise erweisen könnten und somit ihre Wirkung verfehlen? Vor allem an zwei Vorteile ist zu denken:

    1. Verdeckte Appelle sind häufig erfolgreicher als offen geäußerte; deshalb nämlich, weil sie den Empfänger in eine emotionale Stimmung versetzen , die ihn bereiter macht, appellgemäß zu reagieren. Hätte in dem obigen Beispiel der Bruder seinen Wunsch direkt geäußert («Ich möchte heute nicht noch einmal über die Erbschaftsangelegenheit sprechen!»), dann hätte die Schwester vermutlich ihr Interesse dagegengesetzt und darauf bestanden – eine Auseinandersetzung auf der Erwachsenenebene wäre ihm nicht erspart geblieben. Schon ein Kind lernt unter Umständen, dass der direkte Wunsch («Gib mir einen Bonbon!») weniger Erfolg verspricht («Warte bis nach dem Mittagessen!») als etwa ein bekümmertes und wehleidiges Gesicht («Das arme Kind – hier hast du einen Bonbon!»).

    2. Für verdeckte Appelle muss der Sender nicht die Verantwortung übernehmen – er kann notfalls dementieren (auch vor sich selbst), den Wunsch geäußert zu haben. So kann das Aussenden von heimlichen Appellen dazu dienen, sich die Verletzung zu ersparen, die durch die Zurückweisung eines offen vorgetragenen Wunsches entstehen würde. Beier ist der Ansicht, dass die verdeckten Appelle eines Menschen seine Verwundbarkeitsregionen anzeigen: Wünsche, für deren Äußerung es früher harte Zurückweisung und Bestrafung gegeben hat, sind sozusagen in den seelischen Untergrund gegangen und melden sich nur noch in getarnter Form. Beier schreibt:
Wahrscheinlich wird die Fähigkeit, den Empfänger gefühlsmäßig zu verpflichten und Appelle in versteckter Form zu senden, in der Kindheit erlernt und dient dazu, das Kind vor Verwundungen zu schützen. Wenn ein Kind merkt, daß der Ausdruck gewisser Gedanken und Wünsche Reaktionen nach sich zieht, mit denen es nicht fertig werden kann, lernt es, diese Gedanken und Wünsche zu verbergen. Zukünftig wird es ebenfalls lernen, sie auf solche Art und Weise zu äußern, daß sie vom Empfänger nicht völlig verstanden werden; es entdeckt zum Verstecken die Zweideutigkeit. Es entwickelt also eine Geschicklichkeit, um sich die Bloßstellung seiner verwundbaren Absichten zu ersparen und um Reaktionen zu vermeiden, mit denen es nicht fertig wird. Wunschbereiche, die einer solchen Tarnung bedürfen, verweisen auf die Regionen der Verwundbarkeit eines Menschen.» (Beier 1966, S. 280, sinngemäße Übersetzung: S. v.  Th.)
    Der verdeckte Appell ist somit als Strategie anzusehen, die der doppelten Zielsetzung gerecht wird: Etwas erreichen, und dabei nicht entdeckt werden wollen. Die unbewusste Devise lautet: Es tun, aber es hinterher nicht gewesen sein. Für dieses Ziel eignen sich gut diskordante, d.h. in sich unstimmige Nachrichten (vgl. S. 39). Beispiel von Beier: Ein Junge, dessen Vater es aus Zeitgründen mehrfach verweigert hatte, ihm das Radfahren beizubringen, erklärte: «Ich hab keine Lust, Radfahren zu lernen!» Gleichzeitig aber nutzte er jede Gelegenheit, sich demonstrativ in die Nähe von Rädern zu begeben, über Räder zu sprechen usw. – Die verdeckte Botschaft ist geeignet, Schuldgefühle beim Vater zu erwecken, während die manifeste Botschaft genau das Gegenteil enthält. Hier haben wir jene auf S. 42 beschriebene Doppelbindung, bei der der Empfänger nur verlieren kann, wie immer er auch reagiert.
    Je verwundbarer ein Individuum ist,

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