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Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Titel: Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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Seelenfrieden durch Herabsetzung des Senders leidlich wiederherstellen («Was hat Schulze schon Ahnung von Autos. Der ärgert sich ja nur …», s. S. 256). Diese Abwehrtechnik ist praktisch, denn es werden «zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen»: Zum einen, wenn ich dem Sender Unfähigkeit oder einen anderen Defekt unterstelle, brauche ich den Sachinhalt und Appell der Nachricht nicht mehr ernst zu nehmen; ich empfange sie auf der Selbstoffenbarungsseite und nehme sie als Dokument dieses Defektes. In totalitären Staaten ist es eine geläufige Praxis, Dissonanz-Erzeuger für verrückt zu erklären und in psychiatrischen «Pflegeanstalten» einzusperren. Zum anderen: Der Dissonanz-Erzeuger hat mich in einen quälenden Zustand versetzt, er ist für mich eine Quelle von Frustration. Indem ich ihn herabsetze, haben auch meine Rachewünsche ein Ventil gefunden.
    3.
    Verdeckte Appelle (Appelle «auf leisen Sohlen»)
    «Es leuchtet ein, daß jemand das Verhalten eines anderen durch Worte oder andere Information beeinflussen kann; aber daß diese Beeinflussung ohne Bewußtsein von Sender und Empfänger erfolgen kann, ist weniger bekannt.» – So der Psychotherapeut Beier (1966), der untersucht hat, wie die Klienten ihre unbewussten Wünsche nicht direkt ausdrücken, sondern durch die Art, etwas von sich zu geben, beim Empfänger ein ganz bestimmtes emotionales Klima erzeugen, das ihn bereit macht, von sich aus wunschgemäß zu reagieren.
    Beispiel: Zwei erwachsene Geschwister hatten eine harte Auseinandersetzung über eine Erbschaftsangelegenheit gehabt – bisher ohne Ergebnis. Die Schwester wollte ihren Anteil ausgezahlt haben; dem Bruder wollte es das Herz brechen, wenn das Elternhaus, das er selbst bewohnte, verkauft werden müsste. – Als die beiden sich beim nächsten Mal wiedertrafen, sagte er: «Wie bin ich froh, dich wiederzusehen – nach unserem letzten Gespräch war ich so niedergeschlagen und habe tagelang nicht geschlafen.» – Die Schwester brachte es daraufhin nicht über das Herz, wieder von der Erbschaftsangelegenheit anzufangen. Der Bruder hatte mit seiner Nachricht ein emotionales Klima von Versöhnung und Mitleid erzeugt, durch das es der Schwester «irgendwie» unmöglich war, «ihm das heute wieder anzutun». Und so beschloss sie insgeheim und kaum bewusst, heute nur «erfreuliche Themen» anzuschneiden.
    Wer den unbewussten Wünschen des Senders auf die Spur kommen will, muss auf seine Gefühle als Empfänger achten. Greifen wir hierzu auf ein weiteres Beispiel von früher (S. 37) zurück: Jemand weint. Zunächst sind wir geneigt, dieses Weinen als Ausdruck von Traurigkeit zu nehmen; das heißt: Wir empfangen das Weinen auf der Selbstoffenbarungsseite. Möglicherweise haben wir damit aber nicht die ganze psychologische Bedeutung des Weinens verstanden. Was geschieht mit mir, wenn der andere anfängt zu weinen? Ich bin betroffen, mein Zorn von eben ist verraucht, ich habe Mitleid, ich gebe nach, «mein Herz schmilzt», ich wende mich dem Weinenden zu, um ihn zu beruhigen und zu trösten, höre auf, ihn mit meinen Ansprüchen und «Wahrheiten» zu quälen. Und wenn dies Sinn und Zweck des Weinens gewesen wäre? Der Weinende würde diese Unterstellung entrüstet von sich weisen: Das Weinen sei einfach über ihn gekommen, mitnichten handele es sich um eine von ihm benutzte Strategie, auf den anderen Einfluss zu nehmen.
    Der Weinende lügt nicht wider besseres Wissen. Ihm ist die Strategie, die er benutzt, nicht bewusst. Vermutlich hat ihm diese Strategie in seiner Kindheit genützt: In bedrohlichen Situationen hat sie ihm das Schlimmste erspart («Lernen am Erfolg»).
    Am Beispiel des Weinens haben wir eine psychologische Arbeitsmethode kennengelernt, deren Kennzeichen in einer finalen Blickrichtung besteht. Damit ist gemeint: Um ein Verhalten zu verstehen oder zu erklären, wird nicht nach den (in der Vergangenheit liegenden) Ursachen gefragt, sondern nach den (vielfach unbewussten) Zielen, für die das Verhalten dienlich ist. Bei dieser von Alfred Adler sehr betonten «Wozu»-Frage wird allen Verhaltensweisen ein (oft unbewusster) Zweck unterstellt. Diesem Zweck kommt man am besten auf die Spur, wenn man die Reaktionen der Umwelt auf dieses Verhalten betrachtet. Am Beispiel des Weinens haben wir diese Betrachtung vorgenommen, indem wir uns in den Empfänger hineinversetzt und gefragt haben: »Was löst das Weinen in mir aus?» Über den gefühlsmäßig empfundenen Appell sind wir der

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