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Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Titel: Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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geheimen Zielsetzung des Senders auf die Spur gekommen und haben damit ein tieferes Verständnis für sein Verhalten erreicht.
    Wenden wir diese Arbeitsmethode der finalen Blickrichtung auf ein paar Beispiele an, um uns darin einzuüben, den geheimen Appellcharakter von manchen Nachrichten und Handlungen zu entdecken:

    Selbstmordversuche. Jemand versucht sich umzubringen. Auf der Selbstoffenbarungsseite ein Zeugnis von Verzweiflung und seelischem Elend. Der Sender scheint ferner die Absicht kundzutun, Schluss zu machen. Bei näherem Zusehen erweist sich aber häufig der Selbstmordversuch als eine Nachricht mit Appell-Botschaft an die Umwelt: «Helft mir, lasst mich nicht allein, kümmert euch um mich!» Die rechtzeitige Errettung erweist sich damit nicht als «Panne», sondern als zumindest unbewusst eingeplant. – Ebenso haben Selbstmordankündigungen oft starken Appellcharakter, etwa wenn der eine Partner sich vom anderen trennen will und dieser sagt: «Dann bringe ich mich um!» Hier kommt der Appell («Lass mich nicht allein!») allerdings keineswegs «auf leisen Sohlen», sondern lautstark und eindringlich – der Empfänger fühlt sich entsprechend erpresst.

    Angstzustände. Eine 23-jährige Frau bekommt gegen Abend starke Angstzustände, wenn der Mann später nach Hause kommt (Schulte und Thomas 1974): Mit der Angst verbunden sind Schweißausbrüche und Magenschmerzen, gelegentlich steigert sich die Angst bis zur Ohnmacht. Wenn der Mann nach Hause kommt, versucht er seine Frau zu beruhigen, geht sorgend auf sie ein und verspricht, Rücksicht zu nehmen und abends nur in dringenden Ausnahmefällen später nach Hause zu kommen. – Der Therapeut merkt bald, dass hier eine finale Angst vorliegt: Die Angst erfüllt ihren Zweck. Sie erweist sich als erfolgreiche Strategie, um mit der eigenen Lebensunsicherheit halbwegs fertigzuwerden. Sie wirkt. Damit ist nicht behauptet, dass die Frau die Angstzustände nur vortäuschen würde, um ihren Mann an die Kette zu legen. Die Angstzustände sind durchaus real. Behauptet wird lediglich Folgendes: Die Angstzustände haben eine starke Appellwirkung auf einen wichtigen Empfänger. Da dieser appellgemäß handelt, erweist sich die Angst als erfolgreich und – vom Sender aus betrachtet – als sinnvoll. Die Angst-Therapie hat nun vor allem zwei Dinge anzustreben: 1. Die Angst darf keinen Erfolg mehr haben. Der Mann wird angewiesen, die Angstzustände seiner Frau nicht mehr mit liebevoller Zuwendung zu verstärken, d.h. «das Spiel» nicht mehr mitzuspielen. 2. Das Selbstgefühl der Frau muss gestärkt werden. Ihre heimliche Überzeugung: «Ich bin nur lebensfähig mit einem starken Behüter an meiner Seite» muss durch Selbstvertrauen ersetzt werden.
    Kommunikationspsychologisch interessant ist vor allem der erste Schritt: Indem der Empfänger die appellgemäße Antwort unterlässt, trägt er bei zur Therapie des Symptoms. Ich komme darauf zurück.

    Empfindlichkeiten. Viele unserer Mitmenschen sind (allzu) empfindlich, z.B. gegen Kritik. Sie sind «immer gleich beleidigt», reagieren mit gekränkter Leidensmiene oder mit aufgebrachter Aggressivität. Auf der Selbstoffenbarungsseite geben sie damit ein Dokument ihres mangelnden Selbstwertgefühles kund. Gleichzeitig senden sie auf der Appellseite eine Art «Gebrauchsanweisung» für ihre Person: «So und so musst du mich behandeln, und so und so darfst du nicht mit mir umgehen!» In der Regel wirkt der Appell, die Empfänger sind sich einig: «Den muss man wie ein rohes Ei behandeln!» – womit sie gleichzeitig zu erkennen geben, dass sie das Spiel mitspielen wollen.

    Allerlei kindliche Unarten. Was stellen Kinder nicht alles an! Sie machen ohrenbetäubenden Lärm, schlagen ihre Geschwister, machen alles kaputt, kaspern herum, haben Wutanfälle, stören in der Schule mit allerlei Techniken, brüllen wie am Spieß, wenn sie sich etwas wehgetan haben. Haben unsere Kinder den Satan im Leib, muss man versuchen, diesen herauszuprügeln? Der «Satan» hat Appellcharakter. Die kindlichen Unarten verschwinden nicht selten, wenn kein Empfänger da ist, an den sich der Appell erfolgreich richten kann. Er lautet: «Wende deine Aufmerksamkeit mir zu!» Denn ignoriert zu werden ist viel schlimmer als ausgeschimpft, ermahnt, angeschrien zu werden. Kinder sind sehr schöpferisch im Erfinden von immer neuen Aufmerksamkeitserregungs-Techniken, sie versuchen es mit Charme ebenso wie mit Wehleidigkeit und zerstörerischem, aggressivem

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