Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation
Beispiel: «Ich möchte etwas zur Sache antworten und auch zum Ton, den Sie anschlagen. Zunächst zum Ton: Ich empfinde ihn als anmaßend und geradezu unverschämt. Er verdirbt eine Atmosphäre, in der Neues im Dialog entstehen kann. Zur Sache möchte ich die Gelegenheit nehmen und sagen, worin für mich das Neue liegt, und zwar …»;
einer, der «ganz Ohr» ist und den Zwischenrufer auffordert, Farbe zu bekennen. Zum Beispiel (wenn jemand in entwertendem Ton widersprochen hat): «Mein Eindruck ist: Sie sind nicht nur sachlich anderer Meinung, sondern auch böse und ungehalten! Stimmt das? Können Sie mal sagen, was genau Sie so böse und in der Wirkung so verletzend macht?!» (und jetzt lasse ich nicht locker);
einer, der den Angriff als Angebot zur Kooperation umdeutet und den Zwischenrufer in die Pflicht nimmt, zum Beispiel: «Gut, arbeiten wir das mal heraus: Dürfte ich Sie bitten, einmal mit Ihren Worten das Altbekannte zu formulieren und auf den Punkt zu bringen – und dann kann ich schauen, ob ich dem noch etwas hinzuzufügen habe, einverstanden?» ;
einer, der blitzschnell herausarbeitet, worin ich dem Zwischenrufer recht gebe oder recht geben muss. Den Teil meldet er zurück und verbindet diese Rückmeldung mit allem, was mir sonst zu antworten auf der Seele liegt. Zum Beispiel: «Ganz recht, hinter Ihrer recht zugespitzten Formulierung steckt die richtige Erkenntnis, dass dies zunächst eine Auffrischung all dessen ist, was wohl jeder weiß oder irgendwo im Hinterkopf hat. Darf ich Ihnen zumuten, diese Auffrischung noch ca. 15 Minuten in den alten Schläuchen zu ertragen, bevor wir dann darangehen können, neuen Wein zu kosten?»
Der Aufrechte muss auch standhaft sein. Sonst kippt er. Daher empfehle ich oft: «Geh in die und die Situation nicht ohne deine Leibgarde!» Zuweilen zeigt es sich in der Kommunikationsberatung, dass ein bestimmtes Teammitglied generell fehlt und erst eingestellt oder aufgebaut werden muss – eine Maßnahme zur inneren Teamentwicklung. So fehlte mir lange Zeit jemand, der kleinere oder größere Unverschämtheiten sofort und mit der Wucht einer entschlossenen Stimme zurückwies (s. Abb. 92).
Abb. 92:
Aufbau eines fehlenden Teammitglieds, hier: ein Leibwächter , der scharf zurückweist, was «unter die Gürtellinie» geht
In einer Art von Pseudo-Souveränität habe ich jeweils «moderat» reagiert und die Entwertung «als eben seine Meinung» akzeptiert oder durchgehen lassen. Auf diese Weise nehme ich aber weder den anderen noch mich selbst ernst. Seitdem dieses neue Teammitglied zur Gesamtmannschaft dazugehört, muss ich aufpassen, dass es nicht überschießt. Zwar wird es erst eingewechselt, wenn das Oberhaupt – nach sekundenschneller Prüfung der Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit – grünes Licht gegeben hat. Aber wenn es dann losgelassen ist, kann es eine übermäßige Wucht entwickeln (vgl. S. 258). Eine andere Erfahrung: Seit ich dieses Mitglied im Bereitschaftsdienst habe, brauche ich es kaum noch! Ob sich meine «Aura» verändert hat? Wie bei einer guten Polizei macht die bloße Präsenz das Eingreifen unnötig.
Oft sage ich auch: «Geh in die und die Situation nicht ohne deinen Würdiger ! Das ist oft ein unterentwickeltes Stiefkind im Inneren Team und muss sich erst mit wahrhafter Substanz füllen, bevor es sich zeigen kann. In vielen Versammlungen, Arbeitsbesprechungen, Konferenzen etc. ist die Kommunikation sehr von der Ist-Soll-Differenz bestimmt: was im Argen liegt oder dringend erreicht werden muss. So entsteht übermäßig das, was ich eine «Defizitatmosphäre» nenne. Der erste Elternabend im neuen Schuljahr: voll von Beschwerden, Nöten, Wünschen, Anträgen – und keiner drückt aus, dass das vorangegangene Schuljahr erfolgreich und überwiegend erfreulich und in gutem Einvernehmen zwischen Lehrern, Eltern, Elternvertretern und Schülern abgeschlossen wurde. Und keiner sorgt dafür, dass so ein Satz drei Sekunden im Raum stehenbleibt und seine Wirkung entfalten kann. Es gibt gute Gründe für dieses verbreitete Versäumnis. Auf der inneren Bühne nehmen sich immer die den Vorrang, die der Schuh drückt. Zudem ist die Würdigung auf der Beziehungsebene nicht problemlos, weil sie eine Nähe zur Gönnerhaftigkeit aufweist und den Verdacht der Anbiederung aufwirft. Dennoch sollte es möglich sein, eine Kultur zu entwickeln, welche Würdigung mit Wahrhaftigkeit verbindet.
Un kiekst du bloß ops Defizit,
dann is man jümmers
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