Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation
stammt aus dem betrieblichen Alltag. Herr Emsig, der Leiter einer Projektgruppe, beklagt sich in einer Fortbildungsveranstaltung über seinen Vorgesetzten: «Manche Führungskräfte benehmen sich unmöglich! In ihren Sonntagsreden haben sie große Führungsideale, von ‹Fairness› und ‹Kooperation› ist die Rede, aber in der täglichen Praxis wird das nicht eingelöst, da machen sie einen, obwohl sie im Unrecht sind, vor aller Augen zur Minna.» Ob er mal so ein Beispiel genau schildern könne? «Ja, der Vorfall steckt mir noch in den Knochen: Die Projektgruppe, die ich leite, war von einem Hauptabteilungsleiter (HAL), einem Dr. Vielunterwegs, ins Leben gerufen worden. Neulich hat er mich angewiesen, diese Projektgruppe einmal wieder zusammenzurufen, zu einem gemeinsamen Termin mit ihm. Erfahrungsgemäß heißt das dann auch, dass ich die Moderation der Sitzung übernehmen soll. Allerdings hat er nicht gesagt, worum es ihm ging. Aber das würde ich dann ja erfahren – dachte ich. Jedoch hat er kurz vor Sitzungsbeginn abgesagt, weil er verhindert war. Da er mich aber wohl nicht mehr erreicht hat, hat er Rolf, meinen Vorgesetzten, den Abteilungsleiter (AL) Ruppig (wir duzen uns), angerufen und diesen gebeten, ihn auf dieser Sitzung zu vertreten. Jedenfalls hat mein Chef das so verstanden. Vielleicht hat der HAL auch nur gemeint, dass er auf der Sitzung sein Fernbleiben melden soll. Mein Chef, Rolf Ruppig, hat sonst mit der Projektgruppe nichts zu tun, war gerade aus dem Urlaub zurück und entsprechend wenig begeistert von dieser ‹Vertretung›. Er kam dann im letzten Augenblick, als ich die Sitzung schon gerade eröffnet hatte. Nur mit halbem Ohr kriegte ich mit, dass der HAL wohl gar nicht kommen werde. Was sollte ich tun? Ich habe dann erst mal zur allgemeinen Orientierung eine inhaltliche Zusammenfassung der bisherigen Projektarbeit gegeben. Plötzlich flippte mein Chef aus, vor aller Augen brüllte er mich fast an: Er hätte weiß Gott wenig Zeit – und was ich da überhaupt zusammenzufassen hätte!? Ich habe in der Situation aber gekontert: ‹Willst du die Moderation übernehmen?› Da war er dann erst mal ruhig, und irgendwie kam die Sitzung noch halbwegs mit Anstand über die Runden. Aber hinterher hatten wir großen Krach.»
Kommentar: Bezogen auf Abbildung 89 (S. 330), befindet sich die Situation im Quadranten 3: Sie ist unstimmig , weil nicht die richtigen Leute zum richtigen Thema zusammensitzen; und sie ist nebulös , weil dies nicht transparent wird. Würde der Moderator mit der situativen Leitfrage in die Sitzung gehen («Wie kommt es, und welchen Sinn macht es, dass ausgerechnet ich ausgerechnet Sie in genau dieser Zusammensetzung ausgerechnet zu diesem Thema zusammengerufen habe?»), würde die Unstimmigkeit sofort auffallen, die Situation geklärt werden und das weitere Vorgehen folgerichtig bestimmt werden können. So aber laviert sich der Moderator, innerlich verunsichert, durch das Geschehen – mit der Folge, dass sein Chef, der Abteilungsleiter Ruppig, sich wie bestellt und nicht abgeholt fühlt und ausrastet. Hier wäre die letzte Gelegenheit gewesen, die Situation doch noch zu klären, zum Beispiel durch folgende Reaktion: «Dein Unmut kommt mir jetzt zwar plötzlich und heftig, zeigt aber, dass mein Vorgehen möglicherweise nicht im Einklang ist mit unserer Situation – und ich nehme die Gelegenheit, das mal zu überprüfen. Vielleicht sagst du (Rolf) einmal, welchen Hintergrund das hat, dass du hier anstelle von Dr. Vielunterwegs bist – und dann können wir mal sehen, was daraus für unser weiteres Vorgehen folgt!» Indem er stattdessen auf der «Beziehungsebene» reagiert, verfehlt er den situationslogischen Kern des Geschehens – Mitarbeiter und Chef geraten in einen falschen Streit. Auch seine einleitende Klage über das «unmögliche Benehmen» von Vorgesetzten verrät, dass er die Ursache für die Unstimmigkeiten in der charakterlichen Schwäche seines Chefs ausmacht; damit ist er selbst zwar «aus dem Schneider», kommt der Sache aber nicht hinreichend auf die Spur. Freilich, der HAL hat sehr zur Verwirrung beigetragen, und der AL hätte durch anfängliche Wortmeldung und Klarheit dafür sorgen können, dass er später nicht ausrasten muss. Hauptzuständig für die Stimmigkeit und Transparenz einer Situation ist und bleibt aber der Moderator.
Vorrangig obliegt es ihm auch, die einer Situation innewohnende Logik herauszuarbeiten, das heißt, die in ihr angelegte
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