Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation
die Waagschale wirft, wird ja sehr unterschiedlich ausfallen, je nachdem, ob die reale Freundin sich bodenlos enttäuscht zeigen wird oder selbst schon leise Zweifel am Sinn der Verabredung bekommen hat. Die andere Chance liegt in der Möglichkeit, gemeinsam neue Lösungen zu erfinden («Wie wäre es denn, wenn ihr nachmittags kommt und abends wieder geht?»). Die Gefahr dieses Vorgehens liegt in der möglichen Kränkung, wenn die Kinderlose ihren «selbstsüchtigen» Anteil frank und frei bekennt. Aber eine Freundschaft, die diesen Namen verdient, blüht und gedeiht ja (in der Regel) nicht, wenn ich der anderen meine innere Wahrheit schonend vorenthalte – also eine gute Gelegenheit, jene Streitkultur zu entwickeln, die eine Beziehung auch stärken und wertvoll machen kann!
Das Beispiel zeigt sehr schön, wie Selbstklärung und Beziehungsklärung ineinandergreifen und einander (potenziell) befruchten.
4. Das Beispiel ist auch konflikttheoretisch interessant. Ich möchte später noch der Frage nachgehen, wie es eigentlich kommt, dass dem Menschen so viele innere Konflikte «einprogrammiert» sind, wohingegen unsere Katze diesen Eindruck gar nicht erweckt. Eine Antwort wird lauten: Wir sind unweigerlich Angehörige verschiedener Systeme, denen wir zu dienen haben – und alle sind in unserem inneren Gremium repräsentiert. Solche Systemanforderungen können in einem gegebenen Augenblick gleichzeitig wirksam werden und sehr Verschiedenes von uns fordern. In diesem Fall leitet sich jede der vier Stimmen aus je einer Systemzugehörigkeit ab: Sie ist große Schwester im System Ursprungsfamilie , sie ist Freundin im System Freundschaft , sie ist Mitglied der Gesellschaft, und sie hat – und das hat sie immer! – dem «System» zu gehorchen, das sie selbst ist (s. Abb. 36).
Abb. 36:
Innere Stimmen als Ausdruck mehrfacher Systemzugehörigkeit
So weit zu möglichen Hintergründen einer unklaren, nebulösen oder widersprüchlichen Kommunikation. Sie ist in den seltensten Fällen sprachlicher Unbeholfenheit zuzurechnen. Eher noch wird sie in bewusster Methodik eingesetzt, um den Folgen einer riskanten Verlautbarung zu entgehen. Meist aber steckt eine – vielleicht nicht selbst durchschaute – innere Uneinigkeit dahinter. Manchmal reagiere ich (als Empfänger) mit den Worten: «Es klingt so, als wärst du mit dir selbst noch nicht ganz einig, wie du zu der Sache stehst, stimmt das?» Damit umgehe ich den Kontaktmanager und klopfe sanft an die Tür hinter ihm.
Vergraulung
Wer in mir einen inneren Teamkonflikt hervorruft oder aktualisiert, den aufzulösen mir nicht gelingt, muss damit rechnen, dass er etwas von jener mürrischen Ekligkeit abkriegt, die oft als Außenseite dieses inneren Geschehens zutage tritt: Wo (innerlich) gehobelt wird, fallen (nach außen) Späne!
Ein Beispiel aus der eigenen Berufspraxis: Früher wurden die Diplomprüfungen im Fach Pädagogische Psychologie schriftlich durchgeführt; als Professor hatte ich pro Semester ca. sechzig Klausuren zu lesen, die einzelnen Antworten zu bewerten und schließlich eine Gesamtnote festzustellen. Nun geschah es zuweilen, dass ein(e) Student(in) in der Sprechstunde auftauchte und um einen Termin für die Erläuterung seiner/ihrer Klausurnote bat – er oder sie hatte eigentlich eine bessere Note erwartet. Ach herrje! Natürlich, das Anliegen ist nachvollziehbar, sogar wünschenswert im Interesse eines Feedbacks für die Leistung, gewiss! Andererseits müsste ich die Arbeit vom Prüfungsamt noch einmal kommen lassen, müsste mich zur Gesprächsvorbereitung noch einmal in sie vertiefen, um die Punktebewertung mit den handgeschriebenen Antworten in Beziehung zu setzen, müsste dann das Gespräch führen, die Kriterien erklären, mich mit den Einwänden auseinandersetzen, dem Gegenüber «nachweisen», dass seine Antworten nicht so gut sind, wie es selbst findet. Welch ein zeitlicher und seelischer Aufwand! Unangenehm! Und vor allem: Wenn da jeder käme! In einer Massen-Uni gar nicht zu machen! Auf der anderen Seite: Hatten die Prüflinge nicht – rein juristisch – sogar einen Anspruch darauf? Wie können sie mich bloß in so eine quälende Zwickmühle bringen!?
Wie habe ich reagiert? Zunächst schickte ich meinen Bürokraten vor (s. Abb. 37): Eine solche mündliche Erläuterung sei an sich nicht vorgesehen – bei der Vielzahl der Kandidaten auch rein zeitlich nicht zu schaffen –, und wenn, dann müsse ich erst beim Prüfungsamt
Weitere Kostenlose Bücher