Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation
Aufgedecktwerden verliert er viel von seiner Macht, uns einzuschüchtern, zu überraschen und zu verletzen.
Die Strategie der «Identifikation des Bösewichts» lässt sich noch wirkungsvoller gestalten: In ihrem Buch «‹Kopfbewohner› oder: Wer bestimmt dein Denken?» (1996) schlägt die Psychotherapeutin M. Goulding Methoden vor, um die «Feindschaft gegen sich selbst mit Spaß und Leichtigkeit in Freundschaft zu verwandeln» (Untertitel). Auch in ihrem Bild vom Menschen wimmelt es von Scheusalen, abwechselnd «Monster», «Schurken», «Unholde» und «Bösewichter» genannt, die einem selbst, aber auch (wie ich mir, so ich dir!) anderen das Leben unnötig schwermachen. Auch hier geht es vor allem darum, diesen Tätern erst einmal auf die Spur zu kommen und sie auf eine steckbriefartige Liste zu setzen (s. Abb. 51). Wenn ich dieses Prinzip einmal für mich, Friedemann Schulz von Thun, anwende, dann finde ich in mir zum Beispiel jemanden, der bei jedem Plan, jeder Unternehmung, die mir vorgeschlagen wird, sogleich mit unerschütterbarer Emsigkeit die Katastrophen ausmalt, die dabei passieren könnten: Eine Kanufahrt zum Geburtstag meines Sohnes auf der Alster? Mit den Freunden des zehnjährigen Geburtstagskindes? Um Gottes willen! Sofort sehe ich umstürzende Boote, durchnässte Kinder, sintflutartige Regenfälle, verlorene Paddel und leckgeschlagene Boote vor meinem geistigen Auge! Und wir Eltern haben weder eine Ausbildung im Rettungsschwimmen noch in Erster Hilfe!
Wer meldet sich da in mir und beherrscht sowohl die innere Aussprache als auch die äußere Ausstrahlung mit Dominanz und Penetranz? Meine Mutter nannte meinen Vater immer «Katastrophenlüstling», wenn er in dieser Weise argumentierte, und ein solcher ist offensichtlich dank «seelischer Vererbung» in mir wirksam – ein alter Bekannter in meinem Inneren Team. Er ist insofern unangenehm, als er bei Familienplanungen miesepetrig wirkt und keinen rechten Unternehmungsgeist aufkommen lässt. – Nachdem nun der Täter «namhaft» gemacht worden ist, muss sein Text formuliert werden, Goulding spricht von «Lieblingstirade». In diesem Fall: «Um Himmels willen, was kann da alles passieren! Nein, nein, nein, lass das lieber sein!»
Allerdings enthält so eine Botschaft nicht nur penetranten Unsinn, sondern immer auch ein Körnchen Wahrheit: «Eine solche Unternehmung lässt sich nicht bis ins Letzte vorherbestimmen und kontrollieren. Mache dich auf unerwartete Ereignisse gefasst!»
Als Nächstes leitet uns Goulding an, die «unterschwellige Botschaft» herauszufinden, die der Täter bei wechselnden Kontexten gleichbleibend hindurchklingen lässt: «Das Leben ist überaus gefährlich, vermeide jedes Risiko!»
Schließlich sollen wir uns die Erscheinung des inneren Widersachers auch bildlich vorstellen und ihn mit einem passenden Kostüm versehen (warnend erhobener Zeigefinger, grauer Anzug).
Abb. 51:
Steckbrief für einen inneren Widersacher (nach Goulding 1996)
Wenn wir einen solchen Steckbrief entworfen haben (s. Abb. 51), können wir darangehen, das Stück aufzuführen, das dieser unwillkommene Hauptdarsteller auf unserer inneren Bühne spielt. Also: Schlüpfe hinein in die Rolle, sei nach Herzenslust der Katastrophenlüstling , lass ihn zu voller Entfaltung kommen, übertreibe ihn ruhig ein bisschen, und wenn Spaß und Humor dabei aufkommen, umso besser! – Diese sparsamen Andeutungen mögen genügen, um den Geist und die Herangehensweise von M. Goulding zu kennzeichnen. Für schwermütige Vertreter einer verbiesterten Ernsthaftigkeit im Umgang mit innerem Leid («typisch deutsch») ist das Buch eine erfrischende Brise, für Vertreter des «positiven Denkens», die ohnehin alles mit Leichtigkeit und wenigen Kunstgriffen zum Guten wenden wollen («typisch amerikanisch»), noch mehr Wasser auf ihre wie geschmiert klappernde Mühle.
Zweifellos liegt die positive Wirkung der dargestellten Steckbriefmethode in der Disidentifikation (vgl. S. 126ff.) begründet, die dadurch möglich wird: Ich lerne «meinen Pappenheimer» und seine Methoden sehr gut kennen als einen, der in mir wirksam ist, und gewinne gleichzeitig so viel Abstand zu ihm, dass ich als Oberhaupt seine Belagerung abschütteln und das Steuer wieder selbst in die Hand nehmen kann. Die unheilvolle Gleichung D + P = M ( Dominanz plus Penetranz ist gleich Macht ) wird außer Kraft gesetzt. Jetzt habe ich den Vorsitz und sage: «Hallo, da bist du ja wieder, mein lieber
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