Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation
alter Katastrophenlüstling, mal hören, was du alles zu sagen hast – dumm bist du ja nicht! Aber bilde dir nicht ein, dass damit das Schlusswort schon gesprochen wäre!»
Verständnis des Wirkzusammenhangs und Würdigung des Widersachers
Mit dem ersten Schritt (Identifikation des Bösewichts) ist also schon viel gewonnen. Der zweite Schritt besteht nun nicht darin, ihn auszutilgen, zu vertreiben, zu entlassen. Dies ist kaum möglich, vor allem aber auch nicht wünschenswert. Denn mag er auch in manchen Momenten und Lebenszusammenhängen hinderlich und destruktiv sein – in anderen Kontexten wird er vielleicht dringend gebraucht. Dass er so stark hat werden können, ist bereits ein Hinweis darauf, dass er wohl auch notwendig ist – zumindest früher einmal war. Und handelt es sich wirklich um einen Widersacher, oder ist er nur deswegen bei seinem Oberhaupt in Ungnade gefallen, weil dieses sich vorschnell mit seinem Gegenspieler identifiziert hat? Erinnern wir uns: Der Underdog in Gestalt eines inneren Faulpelzes (vgl. S. 173ff.) schien zunächst für unsere Studentin äußerst hinderlich für ein zielstrebiges Studium zu sein; nach und nach stellte sich aber heraus, dass seine Botschaft hörenswert war und er im Inneren Gesamtteam dieses Menschen, in welchem die Effektivitätstreiber mit programmatischer Geschäftigkeit agierten, als Anwalt der langsamen Ausreifung ein hilfreiches Gegengewicht darstellte. Dies ist überhaupt immer eine heuristisch wichtige Frage: Welchen Gegenspieler hält der Widersacher womöglich erfolgreich in Schach? Liegt darin vielleicht seine Funktion, besteht darin vielleicht seine Leistung? Ist mein Katastrophenlüstling möglicherweise deshalb von Wert, weil andernfalls ein Bruder Leichtfuß etwas fahrlässig mit seinem Motto «Wird schon alles gutgehen!» die innere Bühne besetzen und die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen verschlampen würde?
Vielleicht verfügt der verborgene Gegenspieler sogar über gewaltige Energien, sodass gerade deshalb so viel Dominanz plus Penetranz aufgewendet werden muss, um prophylaktisch eine wirksame Gegenmacht (GM) aufzubauen: D + P = GM? Vielleicht handelt es sich bei dem inneren Widersacher um einen «Feuerbekämpfer», wie Schwartz (1997, S. 85ff.) eine bestimmte Kategorie von inneren Mitgliedern bezeichnet. Feuerbekämpfer machen es sich zur Aufgabe, mit unkontrollierbarer Wucht einzugreifen, wenn verbannte Mitglieder, die eigentlich hinter Schloss und Riegel sitzen sollten, auszubrechen drohen: zum Beispiel jemand, der viel Angst oder Schuld oder Verletzlichkeit in sich trägt. Um eine (vermeintliche) Katastrophe abzuwenden, inszeniert der Feuerbekämpfer ein Ablenkungsmanöver, welches das Hervorbrechen des Verbannten verhindert und das Oberhaupt mit etwas anderem beschäftigt, zum Beispiel mit einer Sucht nach Alkohol oder mit einer Bulimie oder anderen unkontrollierbaren Symptomen.
Wie dem auch sei, auf jeden Fall lohnt es sich, den inneren Zusammenhang zu erforschen, in welchem der Widersacher seine systemdienliche Aufgabe zu erfüllen sucht. Diese würdigende Haltung mag sich das Oberhaupt mit Hilfe eines Merkverses zu eigen machen:
Machst du mir auch das Leben schwer,
ich gebe dich so schnell nicht her!
Wie lässt sich der verborgene Wertbeitrag des Widersachers ermitteln? Ich sehe zwei einander ergänzende Heuristiken: die Erkundung der guten Absicht und die Einordnung ins Wertequadrat .
Erkundung der guten Absicht. Bei dieser von Vertretern des NLP [7] (zum Beispiel O’Connor 1992, S. 205ff.) dargestellten Methode wird dem Widersacher eine gute Absicht unterstellt. Wie kann man diese ermitteln? Man ruft ihn an und fragt ihn danach. In der Regel ist er auskunftsfähig. Sodann wird ein «kreativer Teil» angerufen (dessen Existenz optimistischerweise unterstellt wird), mit der Bitte, sich Verhaltensweisen auszudenken, die ebenfalls geeignet wären, das angestrebte Ziel des Widersachers zu erreichen, ohne aber die unangenehmen Begleiterscheinungen hervorzurufen, die bei dem vom Widersacher eingeschlagenen Weg der Zielerreichung zu beklagen sind. Sobald der kreative Teil mindestens drei solch alternativer Verhaltensmöglichkeiten vorgeschlagen hat, kann der Klient diese künftig erproben – allerdings nicht, ohne vorher sicherzustellen, dass der Widersacher selbst und auch alle anderen Teile seines inneren Ensembles «einverstanden» sind. Meldet jemand Bedenken an, muss der kreative Teil erneut arbeiten, um etwas zu
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