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Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation

Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation

Titel: Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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selbst? Gibt es dafür individuelle oder gar überindividuelle Gesetzmäßigkeiten? Und wie kann ich, das Oberhaupt, der Trainer, darauf günstigen Einfluss nehmen, sodass ich für den Ernstfall nicht nur alle beisammen habe, sondern die Passenden auch in der richtigen Aufstellung? Wie kann ich mich, mit anderen Worten, in jener «Aufbaukunst» üben, die ein Schachmeister dem Steppenwolf (Hesse 1974) erklärt: Eine einmal erreichte Grundaufstellung der Persönlichkeit sei keine einmalige, bindende, lebenslängliche Ordnung der vielen Unter-Ichs. Jeder könne seine «Figuren» jederzeit in beliebiger Ordnung neu zusammenstellen und damit eine unendliche Mannigfaltigkeit des Lebensspiels erzielen. «Wie der Dichter aus einer Handvoll Figuren ein Drama schafft, so bauen wir aus den Figuren unseres zerlegten Ichs immerzu neue Gruppen, mit neuen Spielen und Spannungen, mit ewig neuen Situationen» (Hesse, S. 209f.).
    Ich reserviere die Frage nach der situativen Angemessenheit für das 6. Kapitel und betrachte hier zunächst die Phänomene der Auswechslung und der menschlichen Umstellungsfähigkeit überhaupt.

5.1
    «Wie ausgewechselt!» – Dynamische Variabilität im Alltag
    Die schnelle Drehbühne
    Beginnen wir mit einem Beispiel, das die Frau eines selbständigen Geschäftsmannes über ihren Ehepartner berichtet. «Nach des Tages vielen Mühen hängt er abends schlapp und ausgelaugt im Sessel, einsilbig, knurrig und gereizt – unnahbar und überwiegend stier und stumm. Das Telefon klingelt, ein Kunde! Sie müssten meinen Mann sehen: wie ausgewechselt! Aufgeräumt und zugewandt, charmant und gut gelaunt geht er auf seinen Gesprächspartner ein, dass es nur so eine Freude ist, jedenfalls für den! Schon fasse ich Hoffnung: wenn nur ein Bruchteil dieser aufgeräumten Stimmung für mich übrigbliebe – aber denkste! Sogleich fällt er wieder in sich zusammen: Mr. Muff wie gehabt!»
    Dieses drastische Beispiel belegt die Aufstellung grundverschiedener Mannschaften und die Fähigkeit zur schnellen Umstellung: Der erschöpfte Feierabend-Ehemann tritt mit Mr. Muff als Spielführer an, an seiner Seite noch Herr Mäkel-Mecker und Herr Stöhn . Für das Telefonat wechselt der Geschäftsmann blitzschnell die gesamte Mannschaft aus und betritt das neue Spielfeld mit Willy Witzig , Henry Hilfreich und Charlie Charmeur .
    Fragen wir uns an dieser Stelle nicht, ob dem Mann diese starke Polarisierung zweier Mannschaften, diese beruflich-private Spaltung, gut bekommt; hier geht es zunächst nur um das Phänomen, dass eine rasche Umstellungsfähigkeit menschenmöglich ist. Unsere innere Bühne aus dem letzten Kapitel erweitert sich jetzt zu einer Drehbühne, die wie auf Knopfdruck neue Konfigurationen erscheinen lässt (s. Abb. 71).

    Abb. 71:
    «Innere Drehbühne» als Sinnbild für einen schnellen Mannschaftswechsel
    Personale Bandbreite
    Als Luise Rinser achtzehn war, kritisierte ihr Vater sie voller Verachtung: «Du hast keinen Charakter, du bist wankelmütig!» (Rinser 1984, S. 13). Tatsächlich: In ihrem Roman «Mitte des Lebens» beschreibt sie genau dieses Lebensgefühl und lässt ihre Heldin sagen: «Damals, als ich jung war, da war ich ziemlich verwirrt. Kanntest du das auch, dass man morgens aufwacht und ein ganz anderer ist als tags zuvor? […] Man beugt sich über sich selbst und sieht hundert verschiedene Ichs, und keines ist das wahre, die hundert zusammen sind vielleicht das wahre» (Rinser, S. 13).
    Später hat sie das «Wankelmütige» positiv umgedeutet und das Wort «wandelmutig» geprägt. «Personale Bandbreite» und «Wandelmutigkeit» sind im modernen Berufsleben zu einem wichtigen Teilstück sozialer Kompetenz geworden, auch wenn (oder weil ) die Trennungslinie zur geschmeidigen Wendehalsigkeit zuweilen schwer zu ziehen ist. Man kann wohl von einem neuen Sozialtypus sprechen, der sich hier herausbildet. In seinem Universitätsroman «Der Campus» (1995) hat Schwanitz diesen Typus in Gestalt des wendigen Bernie Weskamp vorgestellt, eines Professors, der seinen Ehrgeiz von der Wissenschaft auf die Mikropolitik verlegt hat, in allen Gremien zu Hause ist, ein kunstvoll gesponnenes Netzwerk aus formellen und informellen Kontakten pflegt und daran Gefallen findet, vor und hinter den Kulissen die Fäden zu ziehen. Seine personale Bandbreite besteht darin, dass er in wechselnden Situationen, aber auch innerhalb ein und derselben Begegnung immer neue Mitglieder seines Inneren Teams aufstellt, in den

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