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Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)

Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)

Titel: Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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spielt sich so in den Mittelpunkt, dass man es nicht mehr übersehen kann. Das seelische Axiom lautet dann:
Ich bin unwichtig. Wie mir wirklich zumute ist,
interessiert niemanden.
Nur wenn ich mich geschickt oder mit starken Mitteln
in den Vordergrund spiele, werde ich beachtet.

    Wer die Erfahrung gemacht hat, dass normal dosierte Lebenszeichen nicht ausreichen, um für andere be-achtenswert zu werden, wird aufmerksamkeitssteigernde Mittel einsetzen. Hinter der aufblühenden Redseligkeit steckt die Angst, unbemerkt zu verwelken.
    Dies ist insofern der «einfachere Fall» einer Genese, als hier die Aufmerksamkeit des Gegenübers erregt werden soll. Schwieriger zu entschlüsseln und zu verstehen ist der Entstehungsprozess und die «Symptomatik» dann, wenn der Hauptadressat der Botschaft die betreffende Person selbst ist und ihr Gegenüber bloß Resonanzboden. Nach Mentzos (1986) liegt das Wesen der «Hysterie» darin, dass der Betreffende sich innerlich und äußerlich in einen Zustand versetzt und «hineinsteigert», «der ihn sich selbst quasi anders erleben und in den Augen der umgebenden Personen anders als er ist erscheinen lässt » (S.75). Insofern haftet dem entsprechenden Kommunikationsstil etwas Unechtes und Übertriebenes an, die Gefühle wirken inszeniert, «gemacht». Herzliche Zuwendung mag dann etwas überschwänglich ausfallen, Traurigkeit zum heulenden Elend ausgestaltet, Ärger in einem großen Auftritt heiligen Zorns mit zugeschlagener Tür in Szene gesetzt werden. Möglich auch, dass die gezeigten Gefühle nicht (nur) in ihrer Intensität , sondern in ihrer Qualität «leicht daneben» geraten: In Situationen, in welchen man stille Betroffenheit erwartet, erheben sich aufgeregte Klagen, anstelle von Trauer kommt Wut auf oder anstelle von Zorn betonte Amüsiertheit. «Einen Tick daneben» (wie sich eine Studentin ausdrückte) geraten auch die Gesprächsbeiträge, jedenfalls im Stress, in Konflikten und in gefühlsmäßig heiklen Situationen. So mögen Dinge angesprochen werden, die den Punkt, um den es geht, nicht treffen – dies wird meistens erreicht durch Ausweichen auf Randaspekte . V. Satir hat das Ablenken (nicht auf Fragen antworten, jedenfalls nicht im eigentlichen Sinne; haarscharf am Thema vorbeireden etc.) zum konstituierenden Merkmal ihres vierten Typs gemacht (1975). Während sich der Dramatisierende die Gefühle zu ersparen sucht, zu denen die wirklich ihn betreffenden Dinge herausfordern, verlegt er sie doppelt und dreifach auf unwesentliche Nebensächlichkeiten, welche mit größtem Entzücken oder lautem Jammern in den Vordergrund gezerrt werden. Konstruieren wir das Beispiel eines geschiedenen Ehemannes, der sich sehr aufregt (wohlgemerkt: der « sich aufregt» – in der Sprache ist die aktive Urheberschaft bei diesem gefühlsmäßigen Vorgang bereits unterstellt!) über die, sagen wir, «unpassende Frisur» seiner bei der Mutter lebenden Tochter. Warum «macht er so ein Drama daraus»? Die Trennung von seiner Familie war für ihn ein existenzieller Bruch mit viel Schmerz, Kränkung, Traurigkeit und Wut. Da er aber vor sich selbst und vor anderen «souverän über der Sache» stand, ist er all diese Gefühle nicht losgeworden. Die unpassende Frisur kommt gerade recht, um nun doch wenigstens einen kleinen Teil dieser Affekte abzuarbeiten – und zwar an jenem nebensächlichen Anlass, der die existenzielle Betroffenheit nicht herausfordert, aber doch symbolisch etwas von dem enthält, was in seinen Augen falsch gelaufen ist und noch läuft.
    In der Realität sind die Zusammenhänge meist verwickelter, doch in diesem Beispiel wird vieles vom Wesen der «hysterischen Konfliktverarbeitung» (Mentzos, 1986) deutlich:

Vermiedene und unerledigte Gefühle im Hintergrund;
Ablenkung vom Eigentlichen, Ausweichen der Affekte auf Nebensächlichkeiten;
dadurch eine nicht stimmige Qualität und/oder Intensität des Gefühlsausdrucks,
sowie das unbewusste Ziel: sich von innerem Konfliktstoff zu entlasten, ohne dass man selbst oder jemand anders merkt, worum es eigentlich geht.

    Der primäre Gewinn liegt also nicht so sehr darin, was man beim Gegenüber erreicht (da mögen sekundäre Gewinne dazukommen), sondern in der erfolgreichen Manipulation des Selbstgefühls, im Sich-hinein-Steigern in Affektzustände, die mit dem eigenen Selbstbild verträglich und der Entlastung von inneren Konflikten dienlich sind. Das «Hört, hört, so bin ich!» ist also in erster Linie an die eigene Adresse

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