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Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)

Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)

Titel: Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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menschlichen Spezies ausgemacht (1965, S.351ff.). Auf der Suche nach psychologischen Mit-Ursachen von Kriegs- und Vernichtungshandlungen kommt er zu dem Schluss, «dass unsere Spezies nicht an einem Übermaß an selbstdurchsetzender Aggression , sondern an einer übermäßigen Neigung zu selbsttranszendierender Hingabe leidet» (S.359).
    Die Geschichte zeige, dass in der menschlichen Tragödie die Zahl der individuellen Verbrechen, begangen aus selbstsüchtigen Motiven und mit der Wucht persönlicher Feindseligkeit, eine verschwindend geringe Rolle spiele, verglichen mit den massenhaften Vernichtungen, die von «harmlosen» Menschen begangen werden, in selbstvergessener Hingabe an eine Idee und an einen Repräsentanten des Volkes, der Nation, des Vaterlandes. «Der Egoismus der Gruppe wird vom Altruismus ihrer Mitglieder gespeist, und die Brutalität der Gruppe lebt von der Hingabe ihrer Mitglieder.» (S.362)
    Übrigens sehen wir an dieser Stelle, dass die «Hingabefähigkeit» traditionell gar nicht nur eine weibliche, sondern durchaus auch eine männliche (Un-)Tugend ist – nur bezieht sie sich beim Mann weniger auf die Familie, sondern auf berufliche Aufgaben oder auf die Nation, das Vaterland, den Kaiser, den Führer – man denke an Heinrich Heines Grenadier: «Was schert mich Weib, was schert mich Kind, … – mein Kaiser, mein Kaiser gefangen!»
    Offenbar sind die psychischen Wurzeln dieser Art von Hingabebereitschaft denen der Frau gar nicht so unähnlich, wenn auch in den Auswirkungen verheerender: «Die Furcht vor der Freiheit» lautet der Titel eines Buches von Erich Fromm (1983), in dem er die seelische Infrastruktur des Faschismus erforschen wollte. Was liegt im Menschen, in uns, bereit, um für grauenhafte (Selbst-)Vernichtungskreuzzüge verfügbar zu sein? Sein Ergebnis: Der «autoritäre Charakter» kompensiere seine eigene Nichtigkeit und Wertlosigkeit durch glorifizierende Identifikation mit dem «großen Ganzen», als dessen zugehöriger Teil er sich fühlen darf. Diese Teilhabe entschädigt nicht nur für das persönliche Minderwertigkeitsgefühl, sondern verbürgt auch einen Schutz gegen die «Furcht vor der Freiheit», also vor dem entsetzlichen Verlassenheitsgefühl, das dann aufkommt, wenn man nach eigenen Maßstäben leben, entscheiden und sich verantworten müsste, ohne die Geborgenheit spendenden Maßregeln «von oben». In raffinierter Weise passt die faschistische Ideologie: «Du bist nichts – dein Volk ist alles!» haargenau in dieses Schlüsselloch der autoritären Charakterstruktur, und gehorsamssüchtig und hingabebereit tönt es zurück: «Führer befiehl – wir folgen (und tragen die Folgen)!»
    Die Bereitschaft, das eigene Werteempfinden auszublenden und sich den Maßstäben und Direktiven jener «Autoritäten» zu unterwerfen, mit denen man sich eins und einig fühlen muss, um sich in der Welt nicht ausgestoßen zu fühlen – diese Bereitschaft scheint, wie Milgrams Experimente in den USA und ihre Wiederholungen in Deutschland nahelegen, noch längst nicht der Vergangenheit anzugehören (s. z.B. Milgram, 1974).

    Bei alldem darf nicht der Eindruck entstehen, als ob politische Phänomene wie Faschismus oder Nationalismus aus der seelischen Struktur der einzelnen Menschen heraus erklärbar wäre – das hieße die historischen, politischen, ökonomischen Dimensionen außer Acht lassen, die hier vorrangig wirksam sind. Gleichwohl spiegeln sich die äußeren Verhältnisse auch im Seelenleben der Menschen wider und entfalten dort eine zählebige Eigendynamik. Deshalb bedarf es für jede Reform der Gesellschaft auch psychischer Entwicklungsarbeit.

    Der «autoritäre Charakter» erschöpft sich nicht in der Selbst-losigkeit, vielmehr scheint er in einer ganz bestimmten Kombination von seelischen Strömungen zu bestehen. Die beiden wichtigen anderen sehe ich in der aggressiv-entwertenden (Kap. 4) und in der bestimmenden-kontrollierenden (Kap. 6) Strömung. Dies genauer auszuarbeiten wäre ein Thema für sich – an dieser Stelle war darzulegen, warum Psychoanalyse und Humanistische Psychologie die «Hingabefähigkeit» des Menschen nur im Kontext der gesamten seelischen Konstellation beurteilen und lediglich in Verbindung mit einem entwickelten bzw. zu entwickelnden Selbstwertgefühl als einen Wert ansehen. Nicht von ungefähr beginnt Ruth Cohn ihren Leittext zur psychologischen Grundlegung einer zeitgemäßen menschlichen Ethik mit dem Satz: «Zu wissen, dass ich zähle!» (1975,

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