Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
Klappentext) und gibt damit die innere Voraussetzung für die nachfolgenden Sätze an: «Zu wissen, dass du zählst, zu wissen, dass jeder Mensch zählt, ob schwarz, weiß, rot oder braun. Die Erde zählt. Das Universum zählt …»
Kehren wir nach diesem Exkurs über den politischen Aspekt der Hingabe-Problematik zurück auf die Ebene der zwischenmenschlichen Kommunikation. In Verbindung mit einem gut entwickelten Selbstbewusstsein liegen die positiven Möglichkeiten des selbst-losen Stiles (der dann jedoch «auf-den-anderen-eingehender» Stil heißen sollte) darin, dass er dem Gesprächspartner einen Raum bietet, sich auszudrücken und zu entfalten. Die Atmosphäre in diesem Raum ist gekennzeichnet durch
Ermutigung, sich auszusagen («Wie denken Sie darüber, Herr Meyer?»)
Bereitschaft, geduldig aktiv zuhörend auf den anderen einzugehen
Bestätigung, dass der andere so denken und fühlen darf, wie er denkt und fühlt, auch bei eigener entgegengesetzter Einstellung
Unterstützung beim genauen Herausarbeiten dessen, was der andere sagen will und was ihn bewegt.
Hier kommen alle Kommunikationsweisen zusammen, die C. Rogers (1974) einem «Facilitator» («Erleichterer», «Ermöglicher») zurechnet und die als Merkmale guter Gruppenleitung und Moderation anzusehen sind.
Selbstbehauptung: «Ich» und «Nein» sagen. Tugenden, die wir unter dem Einfluss der selbst-losen Strömung über-entwickelt haben, sind die Bescheidenheit und die Rücksichtnahme: «Du zuerst!» ist das Leitmotiv des Selbst-losen, bis hin zur völligen Verleugnung eigener Bedürfnisse. Wiederum ist zu betonen, dass Bescheidenheit und Rücksicht kostbare Güter im Zusammenleben der Menschen darstellen und als Ausgleich gegen eine sozialdarwinistische Ellenbogen-Mentalität schon in der Kinderstube eine große Rolle spielen. Wenn jedoch diese Haltungen nicht mit jenem Maß an Selbstbehauptung gepaart sind, das es erlaubt, auch eigene Interessen zu formulieren und durchzusetzen, drohen sie zu einer Untugend zu verkommen. Wieso «Untugend»? Ist es denn möglich, zu rücksichtsvoll und bescheiden zu sein? Aus psychologischer Sicht ist diese Frage zu bejahen: Die «Versündigung» richtet sich zum einen gegen die eigene Person, da permanent unerfüllte Wünsche und vermiedene Selbstbehauptung einen depressiven Prozess begünstigen. Zum anderen besteht die Gefahr, als Gegenüber nicht wirklich greifbar zu sein, was auf eine Kontaktvermeidung hinausläuft und der Beziehung jede Frische nimmt.
Der Selbst-lose muss daher, statt in stiller Stunde den Egoismus und die Undankbarkeit der Umwelt zu beklagen, lernen, das Wort «Ich» auszusprechen, vor allem in Verbindung mit
Ich möchte (nicht),
Ich will (nicht),
Ich verlange.
In einem «Assertive Training» (Verhaltenstraining zur sozialen Selbstbehauptung) wird genau dies geübt – eine Pferdekur für selbst-lose Personen, denen Sätze wie «Du sollst doch nicht extra für mich …» viel leichter und «natürlicher» von den Lippen gehen.
Besonders für Frauen werden solche Kurse zur Selbstbehauptung seit einigen Jahren verstärkt angeboten. Untersuchungen zur geschlechtsspezifischen Kommunikation hatten ergeben, dass Frauen auch in beruflichen und öffentlichen Situationen deutlich mehr als Männer dazu neigen,
Verhaltensweisen zu zeigen, die den Gesprächspartner emotional unterstützen,
im Gegensatz zur «schwergewichtigen» Selbstdarstellung der Männer sich selbst herabzusetzen oder zu verharmlosen (vgl. Kap. 4, S.143f., und Kap. 5, S.196f.)
und dadurch ihre ohnehin spürbare Benachteiligung in Bezug auf Redezeit und Geltung sowohl dokumentieren als auch verstärken. Dieser Befund lässt den Wunsch aufkommen, dass die Männer dem erstgenannten Aspekt nachzueifern lernen, statt wie gewohnt distanziert, herabsetzend und sich beweisend die Konkurrenz zu schüren; und dass die Frauen aufhören, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen. Dies unterläuft nach meinen Erfahrungen auch solchen Frauen, die sich bewusst um einen selbstbehauptenden Stil bemühen (auf die Gefahr hin, sich das Prädikat «unweiblich» einzuhandeln und auf emotionales Befremden der männlichen Berufskollegen zu stoßen); und zwar dadurch, dass sie
durch gewisse (sich selbst nicht wichtig nehmende) Formulierungen und
durch selbstbeschränkende Körpersprache
vom alten selbst-losen Muster eingeholt werden und dadurch unbewusst ihre Ziele sabotieren. Ein Beispiel aus einem Seminar: Eine Mitarbeiterin möchte bei ihrem Chef
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