Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
Fällen einen seelischen Vorläufer der Gewalttat darstellen mag.
Kommen wir zurück zum Kommunikationsstil. In der Angst vor Unterlegenheit eignet sich der Feindselige eine Reihe von Kommunikationstechniken an, um jederzeit die «Oberhand» zu behalten. Derartige Oberhandtechniken seien am folgenden Beispiel, einer Lagebesprechung in einer Jugend-Gang, demonstriert. Der Anführer fühlt sich durch seinen Rivalen bedroht und zieht alle Register der Oberhandsicherung:
Rivale: Nun musst du aber auch sagen, wo es langgeht!
Anführer (ihn nachäffend): ‹Nun musst du aber saaagen …› – Was muss ich denn saaagen? Ich muss gar nichts, kapierst du das?
Rivale: Ich mein, wir können doch hier nicht lange so rumpalavern …
Anführer (unterbricht ihn): Wer palavert denn hier? Du palaverst doch hier die ganze Zeit!
Rivale (mit abwehrender Handbewegung): Ich sag dazu nichts mehr!
Anführer (erstaunt tuend): Ach, du sagst dazu nichts mehr? So schnell zieht unser junger Freund den Schwanz ein, wenn es gefährlich wird?
Rivale (versucht noch einmal «mitzuhalten», scherzend): Also, Schwanz habe ich bis jetzt hier noch nicht gesehen … (schaut lächelnd in die Runde der Anwesenden)
Anführer: Ach, bist ein kleiner Witzbold, hm? Ist ja auch alles schrecklich witzig hier, nicht? Mach doch gleich noch einen Witz, ich hör so gern welche!
Rivale (lacht etwas gequält)
Anführer: Seht mal, er lacht – hoffentlich noch lange! (Die anderen lachen) Zu Hause hast du wohl nicht viel zu lachen, was?
Rivale (gibt sich geschlagen): Komm, hör auf, Jürgen!
Anführer: Gut, Leute, also er ist mit dem Palavern fertig – dann können wir jetzt wohl in Action gehen.
Die Techniken der Oberhandsicherung werden je nach «Niveau» der Gesprächspartner unterschiedlich subtil und je nach dem Charakter der Situation unterschiedlich pseudohöflich ausfallen – die allgemeinen Konstruktionsprinzipien aber folgen häufig demselben Strickmuster:
1. Man hört das, was der andere gerade von sich gegeben hat, vor allem mit dem Selbstkundgabe-Ohr (= Was sagt das, was du eben geäußert hast, über dich selbst aus?).
2. Mit diabolischem Gespür wird aus dieser Selbstkundgabe ein solcher Aspekt herausgefiltert, aus dem sich sogleich ein Strick drehen lässt.
3. Der Strick wird folgendermaßen gedreht: Aus der Fülle möglicher Messlatten (= Normen) wird eine solche herausgesucht und an die Selbstkundgabe des Gegenübers angelegt, bei welcher er schlecht aussieht. Dieses Auswählen und Anlegen der Messlatte erfolgt vollständig implizit.
4. Das somit ausgemachte «Defizit», also die Diskrepanz zwischen dem heimlich gesetzten Sollwert und dem ermittelten Ist-Wert, wird nun kommentiert und dem anderen «vorgeworfen».
5. Die Darbietung des Vorwurfes erfolgt am geschicktesten so, dass sie ihrerseits wenig Selbstkundgabe enthält (denn da lägen Ansatzpunkte für den Gegner, mit gleicher Münze heimzuzahlen). Dies ist zum Beispiel durch Ironie oder durch Fragen zu erreichen. Kommunikationspsychologisch gesehen sind Fragen dadurch gekennzeichnet, dass der Fragende wenig Selbstoffenbarung bietet und vom Gefragten welche verlangt [13] . Die Antwort, wie immer sie auch ausfällt, bildet das Material für den nächsten Strick.
6. Der Gegner bleibt in der Unterhand, selbst wenn er versucht, aus dem Spiel auszusteigen. Antwortet er zum Beispiel gar nicht, wird ihm genau dies quittiert («Tja, darauf wissen Sie nichts mehr zu sagen!» Oder: «Was macht Sie so schweigsam heute?»). Stellt er seinerseits eine Frage, wird ihm vorgehalten: «Ich stelle fest, dass Sie auf meine Frage nicht antworten wollen (können) – ist sie Ihnen so unangenehm?»
7. Sollte es dem Gegenüber doch gelingen, auf der inhaltlichen Ebene unbequem zu werden, wird sofort die Ebene gewechselt. Von besonderer Schlagwirkung ist der Wechsel auf die Ebene der Körpersprache, zum Beispiel
– «Warum werden Sie denn plötzlich so laut?»
– «Deswegen brauchen Sie doch nicht gleich rot zu werden!»
– «Wie stehen Sie überhaupt da – haben Sie immer die Hände in den Hosentaschen?»
Im obigen Beispiel stellt das Nachäffen des Tonfalles einen solchen Ebenenwechsel dar.
8. Sollte der andere mit einem Gegenmanöver gefährlich werden, dann kann man ihn ironisch als «tapferes Schneiderlein» würdigen und aufstacheln, noch mehr Derartiges zu bieten. Indem der Anführer seinen Rivalen auffordert, weitere Witze zu machen, hat er mit dieser paradoxen Verschreibung gleich
Weitere Kostenlose Bücher