Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
Familienwelt der Frau mit der Intaktheit der zwischenmenschlichen Beziehungen und der Gefühle zueinander, die Betreuung der Kinder vollzieht sich im liebenden Nahkontakt, Nähe und Bindung herzustellen und aufrechtzuerhalten, das ist der «Auftrag» der Frau in dieser ihrer Domäne. – Diese unterschiedliche Berufsprägung vermag schon viel von dem zu erklären, was Mann und Frau bevorsteht, wenn «die Welten dann aufeinanderprallen».
Trotzdem drängt sich der Eindruck auf, dass die Unterschiede tendenziell schon vorher bestanden haben, von der beruflichen Arbeitsteilung «nur» verfestigt und weiter ausgebaut werden. Auch das scheint schnell erklärlich – ist es doch hinreichend nachgewiesen, dass Jungen und Mädchen unterschiedlich und mit Zielrichtung auf das vorherrschende Rollenbild und ihre spätere «Auftragslage» erzogen und beeinflusst werden. Auf vielen subtilen Kanälen mag der Junge eher zur Eigenständigkeit und Sachlichkeit, das Mädchen eher zu Bindung und Umgang mit Menschen ermutigt werden. Sicher hat auch dies Folgen für die Art, zwischenmenschliche Kontakte und Beziehungen zu gestalten. – Und doch gibt es Hinweise aus der psychotherapeutischen Arbeit, dass die hier besprochenen Unterschiede darüber hinaus noch eine tiefere Wurzel haben.
Um dies zu verstehen, müssen wir uns die Tatsache vor Augen halten, dass Männer und Frauen in ihrer ersten und wichtigsten Bindung, nämlich zur Mutter, ein grundlegend unterschiedliches Schicksal haben: kleine Mädchen eine gleichgeschlechtliche, kleine Jungen eine gegengeschlechtliche Beziehung. Nach Olivier (1987) ist dieser Unterschied folgenschwer, kann er es zumindest werden. Er bedeutet nämlich für den kleinen Jungen, sich mit der Zeit aus dieser wonnigen, All-Geborgenheit spendenden Liebesbeziehung loslösen zu müssen. Denn er kann darin nichts werden, die Mutter hat im Vater ihren wirklichen Liebespartner. Hoffentlich, denn wenn der Vater nicht vorhanden, schwach oder (wie so oft) überwiegend abwesend ist, wird der notwendige Loslösungsprozess verschleppt: In der «vaterlosen Gesellschaft» (Mitscherlich) werden Mutter und Sohn an ihrer innigen Verbindung festhalten. Der Junge kommt nun aber in Not: Mangels väterlicher Identifikationsmöglichkeit kann er nicht richtig zum Mann werden, und zurückgeworfen auf die Symbiose mit der Mutter kann er nicht richtig «er selbst» sein. Je stärker die Mutter (mangels Partner) eigene Bedürfnisse an ihren Sohn richtet, umso weniger kann sie ihn lassen (im doppelten Sinne: sein lassen, wie er ist, und los-lassen). So wird er mit der Zeit den liebenden Nahkontakt in einer hochbrisanten Ambivalenz als beseligend und erstickend zugleich erleben – als etwas, wovor man Angst haben muss, obwohl man sich so stark danach sehnt. Gewaltige seelische Energie wird jetzt nötig, um Abstand zu gewinnen – gegen die Mutter und gegen die eigenen Kräfte, die an der Verschmelzung festhalten wollen. Da hilft nur, «die Luke dichtzumachen», sich sowohl von ihr als auch von einem Großteil der eigenen Gefühlswelt abzuschotten. Solange der erwachsene Mann mit seiner Mutter «noch nicht fertig» ist, solange er sich noch gefühlsmäßig ihr Lasso vom Halse halten muss, überträgt sich seine seelische Abgrenzungsenergie auf andere Frauen, geht er (wenn überhaupt) Beziehungen unter dem Leitprinzip des Nie-wieder-so-nahe-an-sich-herankommen-Lassens ein, weil er (unbewusst) weiß, wie anfällig er dafür ist, sein Selbst im Nahkontakt verschmelzend zu verlieren, und weil er (bewusst) zu wissen meint, wie verschlingend und vereinnahmend «die Frauen» sind. Das seelische Axiom lautet in diesem Fall:
Wenn ich mich öffne und jemand ganz an mich heranlasse, begebe ich mich in große Gefahr: Ich könnte in eine solche Abhängigkeit geraten, dass ich jeder Verletzung preisgegeben bin und mich selbst in der Gefangenschaft der Verschmelzung verliere.
Genau derselbe Glaubenssatz wird seelisch wirksam, wenn der kleine Säugling vernachlässigt, vergessen, unerwünscht oder gehasst – in irgendeiner Form «mutterseelenallein» auf sich selbst zurückgeworfen war – oder wenn ganz im Gegenteil eine übermäßige Kontaktüberschwemmung eine «Nähe ohne Ausatmen» geschaffen hat – oder wenn beide Extreme ein Wechselbad ergaben (z.B. zuerst zu wenig, später zu viel). In all diesen Fällen wird der Schutz vor zwischenmenschlicher Nähe zum vorherrschenden Charaktermerkmal.
Dies kann im Störfall auch weibliches Schicksal
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