Mithgar 11 - Die kalten Schatten
aufragen würden. Doch es gab keine Sonne, nur das kalte Schattenlicht, und Laurelin hätte am liebsten geweint.
An all diesen Tagen mussten sie ohne Feuerholz auskommen, das abgestorbene Tundramoos ergab nur eine kraftlose Flamme, und Laurelins Mahlzeiten bestanden aus kaltem Haferschleim.
Am Ende des dritten Dunkeltags auf der Ebene schlugen die Ghola ihr Lager am Rand des Grumpf auf, einem großen Sumpf in der südlichen Ecke von Gron. Dieser Morast stand im Ruf, des Sommers Mücken ohne Zahl zu beherbergen und bodenlos tief zu sein, doch nun lag er starr in der Winternacht und wirkte völlig leblos. Es hieß, in alten Zeiten sei Agrons gesamte Armee in seinen saugenden Weiten verschwunden, doch Agrons unbekanntes Schicksal war lediglich eine von vielen Legenden, die sich um den Grumpf rankten, denn er war schon immer ein Schrecken verbreitender Ort gewesen. Den ganzen folgenden Tag zogen sie am östlichen Rand des Grumpfs entlang; sie überquerten zugefrorene Bäche und Rinnsale, die den großen Sumpf speisten, und einmal ritten sie über das Eis eines Flusses, der von den unsichtbaren Gronspitzen herabströmte. Als sie schließlich das nördliche Ende des Sumpflandes erreichten, schlugen sie erneut ein Lager auf.
Während Laurelin aß, betrachtete sie den Naudron mit den leblosen Augen. Acht Tage waren vergangen, seit er zuletzt gesprochen hatte, und damals, um einen Ghol zu töten; zwölf Tage, seit er zu ihr gesprochen hatte. Dreizehn Tage war es her, dass sie selbst ein Wort gesagt hatte, als sie dem Bösen erklärte, er solle sich zur Hei scheren; sechzehn Tage, dass man sie gefangen genommen hatte: sechzehn Dunkeltage, seit sie zuletzt eine freundliche Stimme gehört hatte, einundzwanzig Tage, seit sie zuletzt glücklich gewesen war, beim Fest zu ihrem neunzehnten Geburtstag. Als Laurelin endlich Schlaf fand, liefen ihr lautlose Tränen übers Gesicht.
Sie überquerten einen weiteren zugefrorenen Fluss und ritten nach Norden. Rund sechs Stunden später erhoben sich hohe schwarze Felsspitzen zu ihrer Linken, als die Kolonne durch die Klauenschlucht in das Flachland namens Klauenmoor ritt, ein höchst wüstes Land.
Über dieses ritten sie noch einmal etwa achtzehn Meilen, bevor sie ein Lager aufschlugen.
Wieder wurde Laurelin mit einem Tritt geweckt, wieder ritt die Kolonne nach Norden. Ihre Geschwindigkeit nahm nun zu, denn sie näherten sich ihrem Ziel. Bei jedem Schritt des Helrosses schoss heftiger Schmerz durch Laurelins Arm. Sie ritten seit Stunden, und ihr vom Schmerz betäubtes Gehirn vermochte keinen zusammenhängenden Gedanken mehr zu fassen. Doch ungebeugt saß sie im Sattel, gerade wie ein Eisenstab, ein Stab, gehärtet in der Schmiede von Hei. Meilen waren unter den Klumphufen zurückgeblieben, knapp fünfunddreißig allein an diesem Dunkeltag, fast sechshundertzwanzig seit ihrer Gefangennahme vor achtzehn Tagen. Benommen sah sie schwarze Berge vor sich aufragen, und in die Felswand klammerten sich die Türme einer düsteren Festung. Massive Steinpfeiler stützten mit kleinen Türmen bewehrte Mauern, und ein Mittelturm überragte alle. Laurelin kämpfte mit dem Anblick, und plötzlich war sie hellwach und wurde von heftiger Angst gepackt, denn nun begriff sie, dass sie Modrus Festung, den schrecklichen Eisernen Turm, vor sich hatte.
Auf einer eisernen Zugbrücke bewegte sich die Kolonne über eine Felsschlucht, vorbei an einem großen, schuppigen Troll, der das Tor bewachte. Heisere Hörner blökten, Lökha schrien barsche Befehle, als die Helrösser nahten, und Rukha sprangen vor, um unter lautem Rattern der Gewinderäder ein eisernes Fallgitter in die Höhe zu kurbeln. Die Streitmacht der Ghola ritt in einen steinernen Innenhof, und Rukha sprangen herbei; sie fauchten und rempelten einander an, weil alle die Gefangene möglichst aus der Nähe sehen und sie verhöhnen wollten.
Nun ritten sie zum Eisernen Turm in der Mitte der Burg und hielten vor einer mächtigen beschlagenen Tür. Laurelin wurde von ihrem Reittier gezerrt und die Stufen zum Portal hinaufgeführt. Ein höhnisch grinsender Rakh zog es auf, und die Prinzessin wurde in das Gebäude gestoßen. Und nur ein Ghol folgte ihr nach, bevor die Tür mit einem lauten Knall zufiel: Bum!
Vor ihr lag eine mit Fackeln beleuchtete Eingangshalle. Ein Rukhsklave huschte auf Laurelin und den Ghol zu und bedeutete ihnen, mitzukommen, wobei er unverständliche Laute von sich gab, denn er besaß keine Zunge.
Er führte sie über den kalten
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