Mithgar 15 - Drachenbann
Ardenwache gewesen wärt, jetzt jedoch seid Ihr es nicht mehr. Wie kommt das, Jandrei?«
Der Elf lachte. »Wir Lian bleiben nie lange in einer Stellung, ein paar hundert Sommer, allerhöchstens. Selbst die Wächter von Arden, oder der Coron aller Elfen, selbst sie werden ihrer Pflichten irgendwann müde und widmen sich anderen Dingen, anderen Aufgaben, anderen Tätigkeiten, Interessen oder Handwerken.
Ja, ich war vor einer Weile der Hauptmann der Ardenwache - und werde es vielleicht auch irgendwann wieder sein. Nach dem Winterkrieg versuchte ich mich im Gärtnern, und danach widmete ich mich verletzten oder vereinsamten Tieren.
Ich bin nur für eine kurze Zeit wieder bei der Ardenwache, für etwa zehn Jahre oder so, so wie es jeder Lian tut, sei es Mann oder Frau.
Danach werde ich in die Berge gehen, ihre Beschaffenheit und ihre Zusammensetzung studieren. Dort werde ich ungefähr einhundert Sommer bleiben.
Und so, Gwylly, lest nichts in meine frühere und gegenwärtige Stellung hinein, bis Ihr die Lebensweise von uns Lian besser kennt, bis Ihr unsere Lebensspanne abschätzen könnt.«
»Aber Eure Leben sind … sind doch endlos!«, platzte Gwylly heraus.
»Eben«, erwiderte Jandrei. »Genau das.«
Sie ritten weiter durch den Wald und legten etwa fünfundzwanzig Meilen zurück, bevor sie erneut lagerten.
In dieser Nacht flüsterten Gwylly und Faerlin miteinander und überlegten sich, wie sich wohl das Leben einer Person ändern mochte, wenn es sich endlos vor einem erstreckte, und wie sich dies auf ein ganzes Volk auswirken würde.
Etwas abseits saß der Lian mit dem Rücken an einen Baum gelehnt und lächelte verstohlen.
Am Mittag des nächsten Tages führte Jandrei die beiden Wurrlinge in die Siedlung der Elfen, deren Katen mit Reet gedeckt waren. Überall schauten die Lian von ihrer Arbeit auf, und ihre Augen leuchteten, als sie die beiden vom Kleinen Volk sahen. Faerlin und Gwylly ihrerseits sahen sich staunend um, denn hier, wo die Elfen wohnten, war alles, was sie sahen, elegant, schön und von dezenten Farben.
Sie fragten nach Riatha und ritten noch eine Meile weiter nach Norden, bis sie auf ein Feld gelangten, auf dem Lian arbeitete. Eine Elfe, die eine Sense schwang, hatte goldblondes Haar.
»Kel, Riatha, Dara!«, rief Jandrei. »Vi didron ana al enistori!«
Riatha drehte sich herum, legte die Hand zum Schutz vor der Sonne an die Stirn und betrachtete die drei, die am Feldesrand standen. Dann reichte sie ihre Sense einem der Ährenleser und ging zu den Wurrlingen. Denn obwohl sie ihre Namen nicht kannte, wusste sie sehr wohl, wer sie waren und aus welchem Grund sie gekommen waren.
9. Kapitel
RIATHA
Durch die Ären [Vergangenheit und Gegenwart]
Vor langer Zeit schlenderten in Adonar eine Elfe mit ihrem Vater und ihrer Mutter an den Ufern eines kristallklaren Rinnsals entlang, das durch eine saftig grüne Lichtung floss, während hoch über ihnen in den Zweigen der uralten Greisenbäume Silberlerchen ihre Freudengesänge zwitscherten. Die Elfe und ihre Eltern sprachen über vieles, Vergangenes, Gegenwärtiges sowie Zukünftiges, denn sie sollte alsbald nach Mithgar reisen, über den Dämmerritt. Es war am Ende der Zweiten Ära, obwohl das damals nur wenige ahnten, wenn überhaupt, denn in die Zukunft blicken zu können, das ist eine seltene, kostbare Gabe, die nur wenigen gegeben ist. Es war vielleicht zweihundert Jahre, bevor die Ära endete, vielleicht auch mehr, das kann niemand so genau sagen. Denn solche Daten haben für Elfen wenig Bedeutung, die wohl nur den Wechsel der Jahreszeiten genau verfolgen. Doch auch wenn sie weder Tage noch Jahre bemessen, scheinen sie immer genau zu wissen, wo die Sonne, der Mond und die Sterne stehen, was ebenfalls eine kostbare Fähigkeit ist. Sei dem, wie ihm wolle, an jenem letzten Tag in Adonar jedenfalls flanierte Riatha mit ihrer Mutter und ihrem Vater über eben jene Lichtung und sprach mit ihnen über vielerlei Dinge.
Damals, wie auch jetzt, war Riatha eine junge Elfe, die gerade erst am Anfang ihres Lebens stand. Allerdings galt dasselbe auch für ihren Vater und ihre Mutter. Ihr genaues Alter ist nicht bekannt, weder das von Riatha noch von Daor und Rein, denn ganz gleich, wie alt ein Elf ist, er oder sie befindet sich stets am Anfang dieses niemals endenden Lebens seiner Art. Was spielt es da für eine Rolle, ob sie zwanzig, hundert oder gar zweitausend Jahre gelebt haben? Angesichts der Ewigkeit ist es müßig, Jahre zu zählen,
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