Mittagessen Nebensache
Überzeugung gelogen wie eben jetzt. Dawn war verschwunden, ohne mir ein Wort zu sagen. Verschwunden mit einem >Herrn<. Das konnte nur eins bedeuten: David hatte sie hingebracht, und David hatte sie weggeholt. Sie waren durchgegangen. Dawn hatte die größte Dummheit ihres Lebens gemacht, und ich war dafür verantwortlich.
Ich weinte leise vor mich hin, als Paul ein paar Minuten später zu mir ins Zimmer kam. Nachdem er die letzte Neuigkeit erfahren hatte, sagte er zunächst gar nichts. Dann holte er meine Gummiwärmflasche, füllte sie mit warmem Wasser und drückte mich sanft in die Kissen. Schließlich reichte er mir ein ekelhaftes Gebräu aus Kognak und Milch. Ich riß mich zusammen und erklärte schleunigst, es seien ja nur die Nachwirkungen der Grippe, die mich so elend machten. »Mit Dawn — natürlich, das ist schon schrecklich.«
Paul blickte mich ernst an. »Ein Jammer ist das. Wahrscheinlich hat sie es dort nicht ausgehalten. Sie ist nicht damit fertiggeworden, und David mag ihr als die einzige Rettung erschienen sein.«
»Aber er ist gar keine Rettung für sie«, sagte ich tonlos. »Er macht sich überhaupt nichts aus ihr. Er ist nur sehr freundlich und immer hilfsbereit... « Und dann — es lag wohl daran, daß ich mich so entsetzlich elend fühlte und Paul sich so verständnisvoll zeigte — vergaß ich jedes Anstandsgefühl und erzählte ihm den Inhalt jenes unfreiwillig belauschten Gespräches zwischen David und Ruth.
Paul schien in höchstem Maße verblüfft. Er sagte zunächst keinen Ton, aber ich merkte ihm deutlich an, daß sich seine Sorgen durch die Eröffnung nicht verringert hatten.
Schließlich stieß er einen Seufzer aus. »Ich glaube, ich bin derjenige, der sie in diese Dummheit hineingetrieben hat. Diese Narren! Stürzen sich in ein derartiges Abenteuer, nur, weil sie nicht in der Lage ist, einmal in ihrem Leben zu arbeiten, und er, weil ihm das andere Mädchen einen Korb gegeben hat — was übrigens nur beweist, daß Ruth wirklich Verstand besitzt.«
»Sie müssen beide den Kopf verloren haben«, murmelte ich. »Vermutlich hat Dawn ihm mächtig etwas vorgebarmt, und David ist von Natur ritterlich, und wollte ihr helfen. Natürlich wußten wir, daß sie miteinander befreundet sind, aber ich hatte immer geglaubt, sie besäßen genügend Vernunft, um ihre Grenzen zu kennen. Oh, Paul, was können wir nur tun?«
»Im Augenblick gar nichts. Sie werden so schnell wie möglich heiraten, vermute ich. Und da wir nicht einmal wissen, wo sie stecken, haben wir keine Möglichkeit, sie davon abzuhalten.«
Das klang hoffnungslos, aber als Paul meine Verzweiflung sah, meinte er betont zuversichtlich: »Vielleicht irren wir uns auch. Vielleicht hat David gar nichts mit der Geschichte zu tun. Das Mädchen kann ja zu ein paar Freunden in die Stadt gefahren sein und hat ganz einfach vergessen, dir Bescheid zu sagen. Das wäre doch typisch für Dawn.« Damit ging er zum Telefon und wählte Davids Nummer.
Es meldete sich niemand, und ich ließ die eben geschöpfte Hoffnung sofort wieder fahren. »Niemand da«, sagte er rasch. »Aber wahrscheinlich ist er gerade draußen. Ich werde es später noch einmal versuchen. Und du läßt jetzt den Kopf nicht hängen. Schließlich ist es nicht deine Schuld, du hast doch die Grippe nicht absichtlich bekommen. Wenn jemand einen Fehler gemacht hat, dann ich. Du siehst wirklich erbärmlich aus.«
Eine solche Bemerkung wird kaum eine Frau reizend finden. Als Paul gegangen war, raffte ich alle Energie zusammen und machte mir Gesicht und Haar sorgfältig zurecht. Aber ich besaß doch nicht den Mut, Larry anzurufen. Ich konnte das nicht, solange wir nicht genau Bescheid wußten. Larry hatte Dawn wirklich liebgewonnen. Sie würde sich die Sache sehr zu Herzen nehmen, zumal sie immer wieder behauptet hatte, zwischen den beiden bestünde nichts Ernsthaftes. Wenn der Grippevirus bei ihr die gleiche Nachwirkung ausübte wie bei mir, würde sie schon bei der geringsten Kleinigkeit in Tränen ausbrechen.
Gegen Mittag mußte selbst Paul alle Hoffnung fahrenlassen. Er rief nochmals bei David an und bekam den Schäfer an den Apparat.
»Er ist nicht da, ist für ein paar Tage verreist. Ganz plötzlich losgefahren. Wohin...? Hat er nicht gesagt. Am Morgen kam ein Telefonanruf, er hat sofort gepackt und ist abgefahren. Hat mir nur gesagt, er würde ein paar Tage wegbleiben.«
Paul dankte und legte auf. Er vermied es, mir in die Augen zu blicken. »Tja, meine Liebe, da haben
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