Mitte der Welt
zurückkehrt, brechen die Freunde in Lachen aus. Und dann lacht auch er, als er hört, worüber gelacht wird. Dabei hatte ich nur gefragt, woher sie denn wüssten, dass die Frau am Nebentisch Natascha heißt.
Verrückte Geschichte, die er neulich erlebt habe, sagt einer. Eine Übersetzerin, frisch aus Moskau eingetroffen, habe sich im Verlag vorgestellt: Mein Name ist Natascha. Natürlich hätten alle gelacht. Die Arme habe überhaupt nicht verstanden warum. Fast entschuldigend sagte sie: Ja, ein häufiger Name. Worauf natürlich alle noch mehr gelacht hätten; bis sich schließlich jemand erbarmte und sie aufklärte.
NATAŞALAR
Zwei junge Frauen kommen die Treppe herauf, schauen, wo Platz ist, setzen sich und rauchen; dem Kellner, der die Speisekarte bringt, sagen sie, dass sie noch warten.
Auch ich warte noch. Von den Frauen, mit denen ich hier verabredet bin, ist noch keine gekommen.
Jeden Montag treffen wir uns für ein kurzes Mittagessen zwischen der Arbeit. Eine kommt aus ihrer Praxis herüber, eine aus dem Verlag um die Ecke, eine zwischen den Klavierstunden, eine aus dem Büro einer Export-Import-Gesellschaft. So verschieden wie die Frauen sind, ich mag sie alle, und mich freute, als sie mich einluden, an ihrem montäglichen Mittagessen teilzunehmen.
Oft verabreden wir uns hier im Hacı Baba, weil zentral gelegen und doch ruhig. Geradezu lauschig ist es, auf der Terrasse zu sitzen, unter dem Blätterdach mit Blick hinab in den Hof der Aya Triada Kirche. Und außerdem: Die Küche ist gut.
Über Mittag wird es meist voll hier. Aber noch ist nicht ganz Mittag, noch ist das Plätschern vom Brunnen unten im Hof zu hören. Noch stehen die Kellner herum, Ruhe vor dem Sturm, und lassen ihre Blicke schweifen.
Die beiden jungen Frauen am Nebentisch sind nicht ursprünglich von hier, ihre Gesten, ihre Mimik verraten es; ich versuche zu hören, welche Sprache sie sprechen. Und verstehe aus den Blicken der Kellner: Russisch muss es sein. Und nun sehe ich auch, dass fast alle, die die Treppe heraufkommen und sich umschauen nach einem Tisch, mit ihren Blicken über die beiden blonden jungen Frauen gleiten, als ob sie sie abtasteten, und dass allen ein seltsames Lächeln übers Gesicht huscht.
Wartend auf meine Montagsfrauen, wollte ich eigentlich lesen, aber auch ich, als die beiden jungen Frauen aufstehen und zur Toilette gehen, schaue ihnen nach; und als sie frisch gekämmt und geschminkt zurückkommen, packt mich die Wut – all diese Blicke ringsum, die ihnen über Arsch und Beine streichen! Nein, nicht dass diese Frauen geschäftlich hier sind, ärgert mich, seit Jahren, seit der Eiserne Vorhang fiel, sind sie unterwegs hier in der Stadt, aber dass ringsum getan wird, als ob –
Als ob sie nicht hinsähen, schauen sie, heimlich, verstohlen; sie versuchen zu verbergen, dass sie an diesen russischen Frauen nicht vorbeischauen können. Selbst die Kellner, die doch einiges gewöhnt sind, müssen, wenn sie vorbeigehen, mit ihren Augenwinkeln zwinkern.
Ist es die Exotik dieser Frauen aus Russland, die sie so attraktiv macht? Wahrscheinlich haben sie auch anderes zu bieten, wohl auch zu anderen Konditionen.
Viele türkische Männer sollen, wird erzählt, wegen russischer Frauen ihre Angetrauten verlassen haben, und es soll sogar vorgekommen sein, dass einige diesen neuen Frauen gefolgt sind, um jenseits des Schwarzen Meeres ein neues Leben zu beginnen. Sicher ist, dass viele russische Frauen inzwischen ansässig geworden sind in Istanbul und sich ans hiesige Leben angepasst haben; zu sehen auch an ihrer Kleidung – die zwei am Nebentisch tragen satinglänzende Blusen, Jacketts und Miniröcke, hochhackige Lackschuhe und Gold an Hals, Armen und Fingern, nicht sehr viel, aber immerhin.
Damals, kurz nach dem Zerfall des Sowjetreiches, kamen sie in rostigen Schrottschiffen übers Schwarze Meer, um hier Geld zu machen – sie verkauften neben unendlich viel Ramsch und Kleinkram Preziosen aus Familienschätzen, und eben sehr bald schon auch sich selbst. Anfangs kamen vor allem resolute Frauen, die alten Zeiten nicht nachtrauerten, sondern neuen entgegen sich auf den Weg machten und ohne Zögern aufgriffen, was sich ihnen bot. Bunt bemalt und strohblond gefärbt die meisten, standen sie, stumm, rauchend, abwartend, mit hartem Blick, ungerührt unnachgiebig beim Handeln. Wie fremd sie sich damals waren, die übers Schwarze Meer Gekommenen und die Hiesigen! Ohne gemeinsame Sprache und ohne Lächeln standen sie und
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