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Mitte der Welt

Mitte der Welt

Titel: Mitte der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Priess
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gerufen, und auch Raki muss mehrmals nachbestellt werden.
    Später, als Musikanten an den Tisch kommen und aufspielen, wird mitgesungen und mitgeklatscht, Finger werden geschnalzt, Hände gehen in die Höhe, Oberkörper wiegen sich mit. Einer steht auf und fängt an, zwischen den Tischen zu tanzen, die anderen klatschen und feuern an, ein Zweiter steht auf und tanzt; die beiden tanzen sich zu und umeinander herum; dann ruft einer: Ismet komm, tanz mit!
    Ismet lacht und klatscht ihnen zu, steht aber nicht auf.
    Ismet tanz, Ismet tanz!
    Ismet lacht und bleibt sitzen.
    Ismet ist es peinlich, flüstert mir mein Geliebter ins Ohr, er hat Angst sich zu blamieren vor ihr, die neben ihm sitzt.
    Dass Ismet, der schöne Ismet, der alle paar Wochen eine andere Frau hat, im Bett oder im Kopf oder was weiß ich wo, dass er Angst haben sollte, kann ich kaum glauben.
    Doch, schau sie dir an, wie stolz sie ist. Schon seit Wochen hält sie ihn hin, sagt nie ja und nie nein . Und er glaubt, weil er ein Maler ist, dazu einer selten mit Geld, dass sie auf ihn herabschaut. Sie ist immerhin Juristin, zudem aus reichem Haus.
    Ich finde die Frau nicht besonders, weder schön noch interessant; ich verstehe nicht, dass Ismet an ihr etwas findet.
    Hast du nicht gesehen, wie er strahlte, als sie endlich doch noch gekommen ist? Er ist verrückt nach ihr.
    Bei der Vernissage war sie nicht; aber als sie spät noch zum Essen kam, sah ich, wie sie sich zwischen den Tischen hindurchzwängte, mit dem Mantel an einer Stuhllehne hängen blieb, und dass Ismet aufsprang und ihr half; mich erstaunte, wie sie seine Hilfe annahm, wortlos und ohne ihm ein winziges Lächeln zu schenken. Und als sie schließlich neben ihm saß, sagte sie mit Blick in die Runde: Mein Chef ist ein Idiot. Ausgerechnet heute musste er mir zeigen, worum ich ihn seit Wochen gebeten habe. Nie hatte er Zeit, aber heute, als ich wegwollte, hatte er plötzlich Zeit. Schade, dass ich ihm nicht sagen konnte: Heute habe ich keine Zeit!
    Nun steht sie auf und fängt an zu tanzen mit den beiden, die zwischen den Tischen tanzen. Ringsum wird geklatscht; und während sie tanzt, schaut sie aus den Augenwinkeln, ob Ismet zu ihr schaut.
    Ismet strahlt sie an und steht auf, zögernd zwar, und Röte, sehe ich, flammt ihm übers Gesicht; aber er beginnt zu tanzen. Er tanzt um sie herum, tanzend umwirbt er sie, geht in die Knie, kommt wieder hoch, klatscht dazu und stampft, er wirft den Kopf in den Nacken, lachend, tanzend.
    Mir gefällt, wie er tanzt; mir gefällt, dass er es kann, so ganz aus sich heraus. Auch ihr scheint sein Tanzen um sie herum zu gefallen, ihre Augen lachen. Aber trotz Lachen, sehe ich, ihr Blick ist kalt – wäre Ismets Angst doch nicht unberechtigt?
    Plötzlich, mitten im Tanzen, schaut sie auf ihre Armbanduhr, sie müsse jetzt gehen; morgen früh sei ein Gerichtstermin, für den sie noch etwas vorzubereiten habe.
    Es gelingt Ismet, sie am plötzlichen Aufbruch zu hindern, indem er nicht aufhört, um sie herum weiterzutanzen. Aber als das Musikstück endet, ist allen die Tanzlust verflogen; die Musikanten bekommen ihr Geld und gehen zum Nebentisch.
    Dort, auf dem Tisch, sehe ich, gibt es Erdbeeren, die ersten in diesem Jahr. Ich gebe dem Kellner ein Zeichen, er soll auch für unseren Tisch Erdbeeren bringen.
    Mein Geliebter lacht: Fürs gefräßige Istanbul herangekarrt aus den Gewächshäusern im Süden des Landes – die schmecken doch noch gar nicht!
    Aber zur Feier des heutigen Tages, sage ich, und um den drohenden Aufbruch noch hinauszuschieben; für Ismet wäre doch traurig, wenn alle anderen auch aufbrechen würden, nur weil sie jetzt gehen muss.
    Nun müsse sie aber wirklich gehen, sagt sie nach den Erdbeeren und springt auf; und geht wirklich.
    Ismet gibt, kurz nachdem sie gegangen ist, meinem Geliebten ein Zeichen, das er zu verstehen scheint; jedenfalls geht er zu ihm hinüber, nimmt unter dem Tisch etwas entgegen und verschwindet damit.
    Womit Ismet ihn beauftragt hat, wird mir erst klar, als er zurückkommt und mir ins Ohr flüstert: Mein großer Bruder hat sich wieder einmal verschätzt. So ist er, mein großer Bruder! Immer wenn er etwas verkauft hat, will er feiern und lädt alle Freunde ein, und selten bleibt etwas übrig für ihn. Und heute reicht nicht einmal das, was ich dabeihabe –
    Ich verstehe. Und reiche ihm, ohne dass sonst jemand es bemerkt, unter dem Tisch das Fehlende.
    Und als mein Geliebter erledigt hat, worum ihn Ismet bat, und an den Tisch

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