Mitte der Welt
keine aufgeregten Griechen heute und keine Diplomatenwagen, die wie sonst oft die schmale Straße verstopfen; nur die Polizisten gegenüber, blicklos wie immer. Und oben an der Ecke das Haus mit verbarrikadierten Türen und Fenstern, ein schönes Stadthaus, schade nur, dass es so vor sich hin steht, Verfall und bald auch dem Einsturz preisgegeben. Und gegenüber der hohen Mauer vom Galata Saray Lisesi jenes schmale Haus, wo es oben im Dach gebrannt hatte, und du dich fragtest: Wie werden sie es löschen, so eng wie die Häuser hier stehen? Und eine Stunde später, als der ganze Feuerwehrzauber verschwunden war, ob es wirklich war oder ein Traum. Einzig Itfaiye , das majestätische Wort als erinnertes Schriftbild, weiß auf rot, prangend auf dem Löschfahrzeug, gab dir Gewissheit.
Ja, von der Freude über die Pracht eines Wortes, davon könnte ich sprechen, und vom Glück, dass Erinnerung allein genügen kann als Vergewisserung.
Falls dir gelingt, es hübsch zu erzählen!
Oder vom Georgier weiter oben an der Straße, jenem fließend Französisch sprechenden Teppichhändler, der früher, wie er sagte, in der Sowjetarmee Berufsoffizier war.
Von seiner Geschichte erinnerst du nur, dass sie dir unglaublich erschien, krumm.
Und auch seine Teppiche gefielen mir nicht; erstaunlich war nur sein Französisch.
Oben an der Ecke, sehe ich, stehen sie wie immer Schlange vor der Wechselstube, heute eng an die schattige Hauswand gedrängt, um harte und weiche Devisen zu tauschen.
Und wieder die pralle Sonne auf der Istiklâl Caddesi, wie immer voller Menschen. Ich schlängle mich durchs Gewühl, versuche, spät wie es nun doch ist, einigermaßen voranzukommen.
Bald bist du bei ihm!
Nein, ich stell mir nichts vor.
Aber du läufst schon.
Ich muss ihm endlich sagen, dass es sich um ein Missverständnis handelt, dass jenes Wort so nicht gemeint war.
Zufällig wart ihr an seinem Haus vorbeigekommen, und Demir fragte dich, ob ihr raufgehen und bei ihm reinschauen solltet, worauf du fragtest, welchen Ferit Bey er meine, weil du nicht zu glauben wagtest, dass er jener sei, den kennenzulernen du dir wünschtest, seit du in Istanbul bist, und an den du zuerst denkst, wenn du diesen Namen hörst; und als Demir dich ihm vorstellte, da sagtest du –
Ich sagte, wie sehr ich mich freue, dass nun mein lang gehegter Wunsch in Erfüllung gehe; denn Sie sind, so sagte ich, von außerordentlicher Bedeutung für mein Leben, natürlich ohne dass Sie davon wissen – durch Ihre Bücher haben Sie es entscheidend beeinflusst. Worauf er sagte: Ah quel honneur, Madame , und dass ihn natürlich freue zu hören, seine Bücher würden gelesen, wenn er auch bezweifle, dass sie es verdienten, für so wichtig genommen zu werden.
Und dann sagtest du jenen Satz –
Ja, jenes Wort nicht gesagt zu haben, darum gäbe ich viel!
Vor seinem Haus jetzt fasse ich den Türgriff, trete ein in den schattig kühlen Flur und versuche, geblendet noch vom gleißenden Sonnenlicht, mich ans Dämmer zu gewöhnen und Hitze und Aufregung abzuschütteln; ich atme tief durch, gehe zum Lift und drücke den Knopf, ich höre den Lift oben sich in Bewegung setzen und sehe durchs Gitter die langsam laufenden Seile; ein altes Haus, echt Jugendstil, sogar der Lift mitsamt seinem Käfig, und draußen die Fassade mit den geschwungenen Balkongittern und Stukkatur-Schnörkeln, geschwärzt zwar von Istanbuls Winterluft; aber jetzt ist Sommer.
Damals sagtest du, seiner Aufzeichnungen eines Schiffbrüchigen wegen seist du in dieses Land gekommen, sie hätten dich bewogen, es hier zu versuchen, nicht anderswo.
Darauf er: Sie sind sehr charmant, Madame, um nicht zu sagen, Sie schmeicheln mir!
Aber sein Lächeln – du konntest es nicht entziffern.
Ich fragte mich, ob das französische flatter genau deckt, was ich mir unter schmeicheln vorstelle, und was es aus seinem Mund heiße; und sagte: Nein, ich schmeichle nicht, sondern es ist die reine Wahrheit: Sie haben mir eine neue Welt eröffnet.
Sie sind, sagtest du –
Sie gaben mir den Schlüssel dazu, sagte ich.
Du sagtest: Für mich sind Sie das Tor zum Orient.
Ja, ich hätte es nicht sagen sollen, nicht dieses Wort!
Der Lift ist angekommen; umständliches Genestel, um die Gittertür zu öffnen, und beim Betreten leichtes Schaukeln wie in einer Gondel, ich schließe die Tür hinter mir, wieder mit umständlichem Genestel, drücke die Drei und sehe, wie die Gittermuster abwärtsgleiten, während ich langsam ruckelnd emporgefahren
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