Mitte der Welt
ich anhab, sondern dass ich gut drauf bin, gesprächig, mitteilsam, unterhaltsam, nicht sprachlos stumm wie so oft, wenn es drauf ankommt.
Was könntest du ihm denn erzählen?
Mir fällt nichts ein jetzt.
Und auch die Schminkerei gelingt nicht auf Anhieb –
Du bist nervös.
Aber ich will doch gar nichts weiter von ihm.
Und er nicht von dir.
Damals, als er fragte, was ich denn so mache die ganzen Tage in Istanbul, erzählte ich, um nicht von meiner Arbeit zu reden, von meiner Liebe. Un amour fou qui m’occupe complètement , und dass kaum noch Zeit für etwas anderes bleibe, schon gar nicht für meine Arbeit. Worauf er lächelte: Wie schön für Sie, selten wie solche Liebe ist! Arbeiten, ich bitte Sie, das können Sie später noch lange!
Du musst los jetzt!
Ob ich die Sandaletten oder doch lieber Pumps?
So blütenblätterhaft sind deine Füße nicht mehr!
Aber in den Spiegel ein letzter Blick, und runter die Treppen und raus jetzt – knall, zu ist die Tür. Draußen auf der Straße prallt Hitze.
Geh langsam, sonst kommst du ins Schwitzen, auf die fünf Minuten kommt es nicht an!
Langsam gehe ich auf der schattigen Seite die Straße hinauf, vorbei am Bakkal, dem Krämerladen, und an der kırtasiye – dies köstliche, im Gaumen kitzelnde Wort für Papeterie! Oben vor der Lokanta der Obsthändler, der vom Wagen herab sein Obst verkauft, hat, sehe ich, den ganzen Platz im Blick, während er Pfirsiche in die Waagschale legt und rasselnd die Gewichte verschiebt.
Und sein gemurmeltes merhaba, als er die Pfirsiche in eine Plastiktüte kippt, gilt dir.
Ich nicke zurück, freundlich, nicht zu freundlich – dieses ewige Jonglieren, damit immer klar ist, wie’s steht! –, gehe schräg über den Platz, an den Taxis vorbei und an der kleinen hellgrünen Moschee und am Geschäft vom Eier- und Joghurthändler –
Zu dem du nicht mehr hingehst, seit er dir sauren Joghurt verkauft hat.
Nein, das lass ich mir nicht gefallen!
Blick auf die Uhr – um vier sei dir recht, sagtest du, jetzt ist es fünf Minuten vor!
Aber die Hitze heute, trotz Schattenseite. Und die Gerüche, aus jedem Laden, Café, Kiosk, aus jedem Tor, jedem Hof, jeder Seitenstraße. Und drüben das ganze Schaufenster voll turşu, sauer Eingelegtes, aufgetürmt in Gläsern, die prallen Farben in der knallen Sonne, Grün, Rot, Gelb, Rot, Grün, Orange.
Und dass ausgerechnet heute in der Straße, die von Cihangir nach Beyoğlu hinüberführt, der Antiquitätenhändler vor seinem Laden sitzt –
Als du neu hier warst, hast du bei ihm ein Tischchen gekauft, viel zu teuer, aber seine verführerisch schönen Augen; und seither schaust du, ohne hinzuschauen, wenn du an seinem Laden vorbeigehst, ob er da ist.
Tische, Stühle, Lampen, nein, ich brauche nichts, und dass er heute draußen sitzt, nicht im stickigen Laden drin – verständlich bei der Hitze.
Er hat dich bereits gesehen!
Immer, wenn ich nach Beyoğlu hinüber an seinem Laden vorbeigehe, grüßen wir uns.
Aber sein Lächeln heute, du siehst es genau, und sein merhaba sind mehrdeutig.
Er soll sich nichts einbilden, nur wegen seiner Augen!
Nur dass du heute weniger als sonst fertig wirst mit ihm.
Mit hochhackigen Schuhen auf der unebenen Straße – ich muss aufpassen, nicht zu stolpern.
Trotzdem, sein Blick, den du erwischst, obwohl du nicht hinschaust: Wo gehst du denn hin, güzelim, dass du so aufgeregt bist!
Ich muss mich beeilen, springe aufs kniehohe Trottoir, einem Auto ausweichend, und mir fällt ein: Vom schönäugigen Zerberus, an dem es kein ungesehenes Vorbeikommen gibt, könnte ich erzählen, vielleicht ergäbe dies eine hübsche kleine Geschichte.
Nun erzähl du auch einmal etwas, sagte damals beim Essen Demir zu dir, erzähl irgendeine Episode aus deinem Leben, oder, wenn dir nichts einfällt, denk dir etwas aus, eine kleine hübsche Geschichte!
Ja, ich erzählte von der geprellten Nase. Eine Geschichte, in der einmal mehr die Liebe als Illusion entzaubert wird, zu Fall gebracht in der gläsernen Drehtür eines Luxushotels.
Eine lustige Geschichte, wurdest du damals gelobt – das Lob tat dir wohl.
Und nicht schlecht erzählt, sagte Demir. Nur hättest du nicht sagen sollen, dass die Geschichte »wahr« ist – du kennst doch die Sitten schon einigermaßen und weißt: Wir erzählen, um uns zu unterhalten, nicht, um uns zu informieren.
Ja, damit lustig sei, unterhaltsam, erzählte ich nicht, wie es wirklich war: entsetzlich.
Vorbei am Griechischen Konsulat, davor
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