Mitte der Welt
Nuri die Feuerleger nicht selbst gesehen hat, sondern mit seinen Soldaten erst in die Stadt einmarschierte, als sie bereits brannte, das immerhin hat er später eingeräumt. Empörend aber, sagte er immer wieder, wie ungeordnet die griechischen Verbände dem Hafen zustürmten, völlig aufgelöst, und schwimmend sich auf die Schiffe der Franzosen und Briten zu retten versuchten, die Bevölkerung der Stadt aber, auch die griechische, überließen sie schlicht und einfach ihrem Schicksal, also uns Türken.
In unserer Familie hieß es selbstverständlich, sagt Anna, dass die Türken das Feuer gelegt hatten, in den armenischen Vierteln; von dort sind die ersten Flammen zum Himmel geschossen, und der ungeheure Funkenregen hat den Rest besorgt, so wird es bei uns erzählt.
Sie sagt es so entschieden, dass ich nicht sicher bin, wie sie es meint, sehe nun aber ihren Blick zu Arzu, als sie fortfährt: Und die Türken, so hieß es immer, haben die Menschen aus ihren Häusern gezerrt und ins Meer getrieben –
Ich bewundere euch, sage ich, keine achtzig Jahre sind vergangen, seit das alte Smyrna niederbrannte, und ihr beide, obwohl ihr doch durch eure Familien nahe dran seid, könnt so distanziert davon sprechen.
Arzu und Anna schauen sich an, dann lachen sie los; ich verstehe: Sie lachen mich aus. Sie lachen, weil ich sie trotz allem in Klischees hineingepackt habe, ins griechische und ins türkische.
Aber schauen Sie!, springt Arzu auf und zeigt übers Wasser nach Üsküdar: Schauen Sie, dort drüben, die letzten Sonnenstrahlen in den Fensterscheiben, wie sie aufblitzen – als ob es dort brennt!
Ja, lachen wir nun alle drei, Üsküdar brennt –
VERLORENE ILLUSION
Wieder einmal bei Verkin im Hamam erzähle ich, während wir uns mit Wasser übergießen, vom Gang durchs armenische Istanbul und vom anschließenden Gespräch. Es müsste Verkin interessieren, denke ich, dass Annas Großmutter den deutschen General Liman von Sanders persönlich gekannt hatte – nach ihrem Tod fand sich offenbar eine Porträtfotografie von ihm, die er ihr handschriftlich in größter Verehrung zugeeignet hatte. Jener General also, der, während des Ersten Weltkrieges in Izmir stationiert, einer der wenigen unter den Kriegsverbündeten war, die bei der osmanischen Regierung gegen die Deportation der Armenier Einspruch erhoben. Mag sein, er tat es aus strategischen Gründen, aber er setzte durch, dass die Armenier aus Izmir, die bereits nach Osten unterwegs waren, zurückgebracht wurden; das immerhin!
Verkin wirkt verärgert. Was hat es den Armeniern genützt, dass ein einziger deutscher General sich für sie einsetzte? Nichts! Nach Kriegsende, als die Deutschen aus dem Land verschwanden und auch dein Liman von Sanders nichts mehr für die Armenier tun konnte, waren sie wieder einmal sich selbst überlassen. Die Griechen, die konnten übers Meer abhauen nach Griechenland – aber die Armenier? Sie saßen in der Falle. So war es immer! Immer haben die Armenier die Zeche bezahlt! Und trotzdem haben diese Idioten immer wieder versucht, mit diesen und jenen anzubändeln, mit den Franzosen, mit den Russen; auch früher schon, mal mit Persien, mal mit Byzanz – gebracht hat es ihnen nie etwas! Ihre besten Zeiten hatten sie, wenn sie keinen eigenen Staat wollten. Das können sie nicht, regieren –
Und Ani, die Hauptstadt jenes großarmenischen Königreiches, von dem du mir letztes Mal erzählt hast?
Über tausend Jahre ist das her; seither haben sie nicht viel zustande gebracht! Und was sie heute zustande bringen in ihrem kleinen Land – schau es dir an: Nichts! So schlecht, wie es ihnen heute geht, ging es ihnen unter dem sowjetischen Dach nicht; und unter dem osmanischen Dach, solange sie sich an die Spielregeln hielten, ging es ihnen ja ausgesprochen gut.
Um Verkin nicht weiter zu verärgern, erzähle ich nicht, was jene Dame sagte, die mir das armenische Spital jenseits der Landmauer gezeigt hat, jenen beeindruckenden Komplex mit Altersheim und Sozialstation, der allen offen steht, nicht nur Armeniern. Jene Dame meinte, Verkin als Zentralfigur für eine armenische Familiengeschichte sei wohl eher nicht geeignet, da Verkin doch alles andere als typisch armenisch sei, und das Leben, das sie führe, nun ja – jedenfalls sei sie mit einem Türken verheiratet; und außerdem heiße es, dass sie einmal auch mit einem Schwarzen liiert war.
Ich werde es Verkin erzählen, wenn sie besser gelaunt ist; dann werden wir uns ausschütten vor Lachen
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