Mitte der Welt
Akbulut bin ich ein echter Goldfisch.
Damals, als ich die Wohnung fand, wusste ich nicht, wie die Verhältnisse hier sind, auch nicht, wie ich hätte verhandeln können; nur dass ich, betört von der einzigartigen Sicht aufs klassische Stambul, sie unbedingt haben wollte.
In seinen Augen damals das Glitzern, und wie galant er sein Garn spann: Nicht wahr, Madame, zwischen Ihnen und mir genügt das Wort, wie es üblich und möglich ist unter zivilisierten Menschen, Sie und ich, wir brauchen keinen schriftlichen Mietvertrag.
Mir war’s recht, Vertrag aufs Wort. Dass Monsieur Akbuluts Wort-Wertschätzung gekoppelt ist mit dem auch nicht zu verachtenden Wert, den Steuerumgehung schafft, verstand ich erst später. Aber was geht es mich an, solange er sich an sein Wort hält und die Miete nicht erhöht und endlich doch das verrottete Badezimmerfenster ersetzen lässt, wie er es vor einem Jahr schon versprach. Ansonsten ist Monsieur Akbulut, wie gesagt, verlässlich und kommt stets pünktlich so gegen neun.
Ein einziges Mal kam er früher. Mein Geliebter und ich lagen noch im Bett. Als er klingelte, sprang ich auf, drückte den Türöffner-Knopf, schlüpfte in den turkmenischen Mantel, band als Gürtel einen Seidenschal um, setzte Teewasser auf und schaffte es gerade noch, mir die Haare hochzustecken, bevor Monsieur, erhitzt und keuchend vom Treppensteigen, an der Wohnungstür erschien.
Wie immer bat ich ihn herein, Bonjour Monsieur! Worauf er sich mehrmals entschuldigte, dass er früher dran sei als verabredet. Aber zurzeit müsse er Prüfungen abnehmen, was für ihn zusätzliche Arbeit bedeute. Und außerdem, Sie wissen ja, Madame, wie es mit dem Verkehr ist in Istanbul, Stunden verlieren Sie in den verstopften Straßen und ärgern sich; wenn Sie sich aber drauf einstellen, kommen Sie plötzlich überall durch.
Ja, so ist es immer, sagte ich und lächelte ihm verständnisvoll zu und stellte die Teegläser auf den Tisch und entschuldigte mich ebenfalls: Gestern sei es leider spät geworden, Feier mit Freunden nach einer Vernissage. Sie wissen ja, immer wird es später als gedacht! Dann goss ich Tee in die Gläser und bot Zucker an, wohl wissend: Gleich wird Monsieur in seiner Jackentasche nach dem Döschen mit Süßstoff greifen und lächelnd sagen: Madame, die Kalorien! Dann werde ich sein Lächeln erwidern und ihm, wenn er das Zigarettenpäckchen auf den Tisch legt mit Permettez-vous, Madame, que je fume si tôt le matin? , einen Aschenbecher holen. Mais oui, Monsieur, je vous en pris! – Alles wie immer!
Und wenn wir dann ungefähr zehn Minuten hava sudan, von Luft und Wasser, geplaudert haben, als ob er nicht einzig des Geldes wegen herkäme – wozu sonst sollte er kommen! –, dann komme ich zur Sache: Ich lege die Dollars auf den Tisch.
So ein Schleimscheißer!, sagte an jenem Morgen mein Geliebter, als ich wieder zu ihm unter die Decke schlüpfte. Wenn du ihm die Scheine hinzählst und um Quittierung bittest, sein Gewinsel: Mais oui Madame, volontiers Madame, bien sûr Madame, merci Madame –
Wie er ihn nachäffte – es war wirklich zum Lachen; ich sagte ihm nicht, dass auf der Quittung nie ein Betrag steht, lediglich: »Miete erhalten für die und die Monate.«
Und wie du ihn dann ruckzuck rauskomplimentiert hast – weg war er!
Ich wollte ihn doch so schnell wie möglich loswerden und zurück zu dir!
Aber so höflich elegant und doch so bestimmt – der hatte keine andere Wahl. Du bist wirklich eine Dame von Welt!
Und wo, meinst du wohl, hat die Dame von Welt diese galante Art gelernt, wenn nicht hier bei euch Türken!, gab ich zurück; und strich mit den Fingerspitzen über seine schön gewölbten Lippen, das Kinn, den Hals, über den Adamsapfel bis in die Grube zwischen den Schlüsselbeinen, wieder entzückt vom seidigen Glanz seiner olivfarbenen Haut. Ihr mit euren kunstvoll gefältelten Höflichkeiten, um nur ja das eigene Wollen zu bemänteln!, sagte ich und schmiegte mich enger an ihn.
Aber wie du es gemacht hast, und ohne dass er etwas gemerkt hat!, lachte mein Geliebter sein köstliches Lachen so voller Triumph, dass es mich mitschüttelte. Immerhin kommt er zu dir in die Wohnung, allein, und du bist, denkt er, auch allein, und im Morgenmantel.
Den interessiert nur mein Geld, glaub mir!, sagte ich und spürte die Hand meines Geliebten fest auf meinem Rücken, und dass seine besitzergreifende Art mich wieder weich machte und bereit.
Was geht den Vermieter an, wer in meinem Bett ist!,
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