Mitte der Welt
über »armenisches« und »nicht-armenisches« Leben.
Aber vom kürzlich bei Yapı Kredi erschienenen Buch über die Klosterkirche Ahtamar auf der Van See Insel erzähle ich, wie wunderschön die Fotografien sind und wie erhellend der Text.
Das Buch, sagt Verkin in wegwerfendem Ton, gebe es auf Deutsch schon seit Jahren, sie werde es mir später zeigen.
Immerhin, dass es nun auch auf Türkisch vorliegt, ist doch ein gutes Zeichen, versuche ich gegenzusteuern.
Kunsthistorisch, ja, ist es interessant, Aufklärung aber über die eigentliche Frage, die wird es erst geben, wenn eine Kommission von wirklich unabhängigen Historikern tagt; wenn endlich alle Archive geöffnet und alle Quellen von allen damals Beteiligten gesichtet werden. Wenn nicht immer nur Armenier und Türken sich damit herumplagen müssen, sondern wenn auch Franzosen und Briten und Russen dabei sind, und natürlich die Deutschen, die ja damals bestens informiert waren über alles, was im Osmanischen Reich vor sich ging, und auch die Amerikaner; wenn alle, die damals ins Riesenschlamassel verstrickt waren, sich zusammensetzen, ohne die Antwort schon zu wissen auf die Frage, wie es dazu kam, dass geschah, was damals geschehen ist.
Sevinçs besorgter Blick zu Verkin – dass sie Deutsch versteht, nehme ich nicht an.
Sie sagt: Gel Güzelim , komm meine Hübsche, leg dich hin! Ärger bekommt der Schönheit nicht!
Und ich sage, als Verkin sich auf der Liege ausstreckt und die Augen schließt: Ja, ich bin deiner Meinung. Alle, wirklich alle damals Beteiligten, müssten zusammensitzen. Ein Problem allerdings wird sein, dass zwar die Quellen in den türkischen Archiven heute zugänglich sind, aber doch nur von Spezialisten lesbar, weil abgefasst in der alten, der osmanischen Schrift.
Verkin reißt ihren Kopf noch einmal hoch und ihre Augen wieder auf: Arbeit für viele Osmanisten – umso besser! Wo ist das Problem?
DER VERLÄSSLICHE VERMIETER
Monsieur Akbulut ist immer pünktlich und immer höflich. Und immer ruft er an, bevor er kommt, meist zwei, drei Tage nach meiner Rückkehr aus Deutschland; weil ich ihm aus Deutschland die Miete in harten Dollars mitbringe, darum.
Madame, falls es Sie nicht zu sehr derangiert, würde ich morgen früh bei Ihnen vorbeischauen, sagt er immer erst, nachdem er sich erkundigt hat, wie es mir gehe und wie der Familie in Deutschland – dass es keinen Mann mehr gibt dort, sagte ich ihm selbstverständlich nicht –; dann fragt er noch, wie die Reise zurück nach Istanbul war und ob ich die Wohnung ordentlich vorgefunden habe.
Am nächsten Morgen dann, auf seinem Weg zur Uni, kommt er vorbei; denn eigentlich ist Monsieur Akbulut Professor an der Galatasaray Universität und lehrt Internationale Wirtschaftsbeziehungen, in französischer Sprache. Auch wir reden miteinander Französisch, was wir miteinander so reden: Geplauder zum Verzieren und Kaschieren des nackten Geschäfts.
Einmal, als ich ihn plaudernd bedauerte, dass er sich neben allem anderen auch noch mit dem Miete-Einsammeln belasten müsse, klärte er mich auf: Madame, wie fast überall in der Welt ist die Lehre an der Hochschule schlecht bezahlt, und ganz besonders hier. So müsse er eben sehen in den heutigen inflationären Zeiten, wie er einen einigermaßen zivilisierten Lebensstandard halten könne. Aber, fügte er lächelnd hinzu, da er nur an Ausländer vermiete, ausschließlich an Europäer, habe er eigentlich keine Probleme; die hielten sich an Abmachungen und zahlten pünktlich.
Ebenfalls lächelnd gab ich zurück: Die Mieter nur?
Ja, das ist es eben, drehte er das Galanterie-Karussell weiter, dieses Bewusstsein für die Unterschiede! Bewundernswert, dass in Europa heute so sehr darauf geachtet wird bis in die Sprache hinein! Aber hier, in diesem Land, achtet niemand darauf. Und außerdem, Madame, Sie wissen ja, die türkische Sprache gibt es nicht her, sie kennt kein grammatisches Geschlecht. Alles ist einerlei, eins wie das andere, das Bewusstsein dafür fehlt. Und mit einem zuckersüßen Lächeln: Selbstverständlich gelte es auch für die ausländischen Mieterinnen.
Monsieur Akbulut hat Glück mit mir. Meistens zahle ich für mehrere Monate im Voraus, was ihn, auch wenn er es zu verbergen versucht, offensichtlich freut.
Was ich ihm zahle: Ein einziges Mal nannte ich die Summe vor Leuten, die ihr Einkommen nicht aus Europa, sondern aus der Türkei beziehen – ihre Reaktion, Scham ob der Schamlosigkeit, klärte mich auf.
Ja, für Monsieur
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