Mitte der Welt
sagt Melek noch einmal: Es ist Alaaddins Laden!
Wer ist Alaaddin – müsste ich ihn kennen?
Kennen Sie Orhan Pamuk?
Seine Bücher liebe ich sehr.
Haben Sie auch Kara Kitap gelesen?
O, ein wunderbares Buch! Mit großem Vergnügen las ich es, leider auf Deutsch; für Orhan Pamuks Sprache reicht mein Türkisch nicht.
Ja, wahrhaftig ein Istanbul-Roman! Und wenn Sie sich an den Zeitungsladen im Roman erinnern – es ist jener Laden dort an der Ecke, und Alaaddin ist Alaaddin!
Ach – so eins zu eins also!
Alaaddin ist, wie wir alle, hier in Nişantaşı aufgewachsen, wir sind zur selben Schule gegangen; auch Orhan hat ja, wie Sie vielleicht wissen, zwei Straßen weiter gewohnt und hier ebenfalls die Grundschule besucht. Und auch er hat, solange er in Nişantaşı lebte, so wie wir alle, seine Zeitungen bei Alaaddin gekauft. Eines Tages dann hat er Alaaddin wohl gefragt, ob er ihn mitsamt seinem Laden in einen Roman hineinnehmen dürfe; worauf Alaaddin gezögert haben soll: Ağbey, was wirst du über mich schreiben, und was werden die Leute von mir denken! Orhan soll ihm versprochen haben, nichts, was ihm irgendwie schaden könnte, über ihn zu schreiben, nur Gutes. Und als Orhan mit seinem Schwarzen Buch großen Erfolg hatte, kamen die Journalisten auch zu Alaaddin in den Laden und interviewten ihn, und so wurde auch er berühmt. Alaaddin war natürlich mächtig stolz und hat aus sämtlichen Zeitungen die Interviews und Rezensionen ausgeschnitten und in den Fenstern seines Ladens ausgehängt – genau so wie im Kara Kitap die Mitteilungen für Galip im Fenster hängen.
Ich schaue mich um, nun selbst in Alaaddins Laden, was außer Zeitungen noch zu haben ist, und frage mich, wofür dieser ganze Krimskrams wem brauchbar sein könnte, wessen Wünsche damit zu befriedigen wären – und versuche mich zu erinnern, was alles im Roman-Laden herumsteht und hängt, aber auch, worauf die ausführliche Schilderung hindeute. Das schwarze Buch werde ich unbedingt noch einmal lesen, beschließe ich – und wende mich den Zeitungsständern zu. Die Auswahl ist üppig und: Alle Blätter sind tatsächlich vom heutigen Tage. Unschlüssig, welche ich nehmen soll, drehe ich die Ständer her und hin und erwische mit meinem Blick zwischen ihnen den Kastanienbaum, der draußen vor dem Laden steht – seine letzten braungelben Blätter, die plötzlich, von einem Sonnenstrahl getroffen, golden erstrahlen. Aber der Baum selbst, dass er so schütter ist! Mein Bild von ihm aus der Erinnerung an den Roman: Hochgewachsen steht er mit über Straße und Trottoir ausladender Krone. Immerhin, die Reklamen für Zeitschriften sind an seinen Stamm gelehnt wie im Buch!
Aber von den Rezensionen und Interviews, die Alaaddin laut Melek an die Scheiben gehängt haben soll, ist nichts zu sehen – ob sie bereits verblichen und zerbröselt sind? Und wo, an welchem der beiden Fenster des Ladens, ist vorstellbar, dass die Mitteilungen für Galip platziert worden wären?
Alaaddin selbst ist heute nicht im Laden, sehe ich, als ich nach hinten zur Kasse gehe, aber seine Frau.
Melek sagte: Alaaddins Frau war eine große Schönheit. Mit sicherem Gespür hat Alaaddin sie gefunden: Auf den ersten Blick erkannte er, dass sie die richtige Frau für ihn ist, nicht nur schön, immerzu freundlich, hilfsbereit und fleißig, sondern außerdem klug und selbstbewusst; genau richtig also für ihn und für seinen Laden, der ja auch nicht irgendeiner ist.
Das vielsagende Lächeln der noch immer jungen, schönen Frau, als sie mir die zu bezahlende Summe nennt – ich überlege, während ich im Portemonnaie nach passendem Geld krame, ob ich sie von Manfred und Melek grüßen soll; lasse es aber. Und gehe nun, die Zeitungen unter dem Arm, in Richtung Taksim Platz zurück und sehe in mir das Bild: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung auf dem Sessel im Salon – die mir Wegweiser wurde zu Alaaddins Laden, der sowohl in Nişantaşı existiert als auch in Kara Kitap .
KIRSCHEN IM SOMMER
Hasan, hilf der Frau, das Wasser nach Hause tragen!
Hasan, der Sohn des Bakkal, kommt über die Straße gerannt und nimmt die Wasserflaschen, eine in die rechte, eine in die linke Hand.
Alles Lebensnotwendige kaufe ich in diesem Eckladen, Salz, Zucker, Käse, Zigaretten und eben auch das Trinkwasser. Wasser in Glasflaschen zu kaufen, mit Pfand, nicht in Einweg-Plastikflaschen, beschloss ich, als ich mit europäisch geschärftem Blick für Müll nach Istanbul kam; mein kleiner
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