Mitte der Welt
troubadour, poet, advocat, linguist, romancier.
Als ich ins Café hineinkam, fiel sie mir sofort auf, weil sie sehr laut sprach und sehr fremd. Und weil Mehmet in der laut redenden und lachenden Gruppe mittendrin saß, nahm ich an, dass, was sie sprachen, Kurdisch sei. Mehmet grüßte herüber und winkte: Viens chez nous! Und als ich mich zu ihnen setzte: Bienvenue entre mes amis!
Erstaunlich fand ich, dass Mehmet in Istanbul so viele Freunde hatte, obwohl er doch, wie ich wusste, vor wenigen Tagen erst gekommen war, nach über zehn Jahren zum ersten Mal wieder. Nein, auch nie auf Besuch, kein einziges Mal. Aber nun sei er gekommen, um vor Ort über seinen Helden zu recherchieren, eine historische Figur, dessen Biographie er zurzeit schreibe. Und natürlich sei er auch gekommen, um nach den Jahren im Exil einmal wieder die Istanbuler Luft zu riechen; wie lange er es aushalte, wisse er noch nicht, so fremd, wie ihm die Stadt geworden sei.
Eine Woche später war er bereits abgereist, sehr plötzlich, hörte ich.
Damals, als ich mich zu ihm und seinen Freunden an den Tisch setzte und mich vorstellte, staunte ich, wie sie mir ihre Namen hinwarfen, als ob ich natürlich wüsste, wofür sie stehen, dann sofort wieder sich ihrem Gespräch zuwandten, von dem ich, natürlich, kein Wort verstand.
Ja, das ist Kurdisch, sagte sie, die neben mir saß, wer immer sie war, auf Englisch; und ich erinnere, wie sehr ihre Augen blitzten, als sie es sagte.
Ein ungewohnter Klang mitten im großen türkischen Sprachmeer, sagte ich, ob sie keine Probleme damit hätten, diese Sprache in der hiesigen Öffentlichkeit.
Sie – hieß sie Leyla, oder hieß sie Fatma? – lachte ein stolzes Lachen, und ich spürte, wie wenig Ahnung ich noch immer hatte von ihrer Sache.
Zwar war mir die aus Europa mitgebrachte Meinung schon ziemlich abhandengekommen und die hier in Istanbul gehörte fing an, mir auch einzuleuchten; natürlich wusste ich, in der Türkei leben viele Menschen kurdischer Abstammung, mehrere Millionen, über die Hälfte von ihnen im Westen des Landes, in den großen Städten, viele an den Stadträndern, und dass sie eine eigene Sprache haben, Kurdisch, aber viele sie längst ablegten zugunsten von Türkisch.
Leyla – oder hieß sie doch eher Fatma? – sagte, als sie mich dem fremden Sprachklang nachlauschen sah: Kurdisch gehört zur indo-europäischen Sprachfamilie, was du schon an den Zahlen erkennen kannst. Hörst du, wie nah sie denen der europäischen Sprachen klingen? Dann zählte sie mir vor, von eins bis zehn.
Ja, ich höre es, sagte ich; nicht jedoch, dass in meinen Ohren, was am Tisch um mich herum gesprochen wurde, klang wie kollernde Felsbrocken, aus einer Bergwand brechend. Stattdessen sprach ich von der Sehnsucht, die mich jahrelang in den Südosten zog, und dass ich das Land dort, seit ich es sah, liebe, die Berge, die Täler, die Wildheit, die Weite und die Menschen mit ihrem ungebrochenen Stolz.
Wo bist du gewesen?
Wir kamen bis Hakkâri, im September 92, kurz vor den schweren Kämpfen in Şirnak.
Was hast du dort gemacht?
Freunde eines Freundes besucht, sagte ich, und dass ich auf dem Flug von Ankara nach Van erfuhr, warum heute so viele im Westen des Landes leben. Krieg ist Krieg!, hatte der Mann, der neben mir im Flugzeug saß, mit verhaltener Stimme gesagt; und noch leiser hinzugefügt: Auf welcher Seite du auch stehst, töten ist töten! Und tot ist tot, wo immer du fällst! Darum gehen sie! Mich jedenfalls, sagte ich, habe jene Reise nicht nur bis an die Staats-, sondern auch an die eigenen Grenzen geführt, und dass ich heute wohl nicht mehr hinführe.
Hast du Angst?
In Kriegszeiten habe ich nichts zu suchen dort. Höchstens, wenn ich jemanden besuchen würde wie damals, aber ohne Grund und Anhaltspunkt –
Nun lachte die stolze Frau neben mir; und schaute mich herausfordernd an: Nächste Woche fahre sie nach Mardin, ob ich mitfahre, sie lade mich ein.
Wäre ich mitgefahren, wenn ich damals nicht nach Deutschland gemusst hätte, unaufschiebbar?
Damals sagte ich: Wenn ich bloß mitkönnte!
Und heute? Selbst wenn ich den Mut hätte, sie zu fragen, ob sie mich mitnehme, wüsste ich nicht, wo ich sie suchen sollte.
Ich würde ihr nun öfter begegnen in jenem Café, dachte ich damals; oder sehr wahrscheinlich dachte ich gar nichts, so besoffen vom neuen Leben wie ich war.
Heute, als ich in einer deutschen Zeitung das Foto der endlich aus dem Gefängnis freigekommenen Leyla Zana sah, die Frage,
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