Mitteilungsheft - Leider hat Lukas
Beispiel?
– Lukas!
– Du hast gesagt, du hilfst mir bei der Powerpoint-Präsentation, und dann hast du keine Zeit gehabt.
– Lukas, ich kann nicht nur noch für dein Schulleben da sein. Ich habe auch einen Beruf. Ich habe Abgabetermine, ich …
– Die Mutter sagt, du hast keine Abgabetermine, sie sagt, es ist egal, wann du mit einem Drehbuch fertig bist. Sie hat Termine. Sie muss ihre Pläne dannunddann fertig haben. Du nicht.
– Sagt sie.
Sie muss es ja wissen.
Und sag nicht die Mutter. Wie das immer klingt!
Schnitt für eine zweite Rückblende auf einen desaströsen Elternsprechtag. Gespräch zwischen Tür und Angel. Handelnde Akteure: Marie-Claire-Reingard Söllner und Wawa Gruber:
– Apropos. Ihr Sohn nennt Ihre Frau, also seine Mutter, wenn er von ihr spricht, die Mutter, wissen Sie das? Meiner Meinung nach zeugt das von viel emotionaler Distanz. Gibt es da … vielleicht doch häusliche Probl…
– Eigentlich müsste man meine Frau ja der Mutter nennen.
Aber auch auf diesen Schmäh sind Frau Professor nicht eingestiegen. Überhaupt totale Schubumkehr. Kein Lächeln. Kein Kaffee. Keine Zeit. „Auf ein Wort, aber wirklich nur kurz, bitte. Sie können ja nachher sowieso zu mir“, blabla. Also auf ein Wort. Gleich im Anschluss an ein Waterloo, das sich für mich diesmal in Bethlehem abgespielt hatte. Immerhin ein „Ups!“, als ich beim Ausweichmanöver mit handyvideoaufnehmender Kampfmutter – „Schau her, Patrick, daaa her schaust!“ – beinahe über ihre Füße stolpere.
– Ups!
– Tschuldigung.
– Geht schon.
Und dann noch ein Lächeln (in Ziffern: 01), das war dann schon ziemlich gegen Schluss unseres „Worts“.
– Waren das übrigens Sie … der Buh-Rufer?
– Hat man es so laut gehört?
– Was hat Ihnen denn nicht gefallen? Nichts sagen. Es hat Ihnen nicht gefallen, wie Ihr Sohn den Stern von Bethlehem angelegt hat, stimmt’s?
An dieser Stelle das Lächeln über den Rand ihrer Brille.
– Sie meinen, den Schweif des Sterns.
– Eine kleine, aber feine Rolle.
– Lustig. Das nennt meine Frau auch so.
– Apropos. Ihr Sohn nennt Ihre Frau, also seine Mutter, wenn er von ihr spricht, die Mutter, wissen Sie das?
Dabei hatte ich so viel Hoffnung in den Versuch gesetzt, Frau Prof. Mag. Reingard Söllner außerhalb ihres „Zeitfensters“ sprechen zu können, quasi von Mann zu Mann statt von Avatar zu Lehrkörper. Das ganze Krippenspiel über hatte ich versucht, Augenkontakt herzustellen. Vergeblich. Vier Schulklassen zwischen uns, sprich eine Trennwand aus 100 ununterbrochen auf und ab wippenden Köpfen mit Kehlen, aus denen zirka 1000 Dezibel drangen. Erst als sich nach Abzug der Heiligen Drei Könige (samt Stern) das Publikum wieder aufzulösen begann – die Kinder liefen brüllend und gleichzeitig smsend in den Hof, die Eltern schlichen gackernd und gleichzeitig klickend zu den ihnen vorgegebenen „Zeitfenstern“ – , fing sie einen meiner Blicke, gab sich einen Ruck und kam auf mich zu. Fünf Minuten später:
– Eigentlich müsste man meine Frau ja der Mutter nennen.
– Der Mutter?
Kein weiteres Lächeln. Blondgemeschte Haare, schwarz gefasste Brille, schwarzer Rolli, aber nirgendwo ein Lächeln.
– Dann werde ich mir noch schnell Lukas’ Platz anschauen, bevor die anderen Mütter … wenn ich schnell darf … ich meine, ich schau nach, ob sich dort Lukas’ persönliches Bermuda-Dreieck befindet …
– Ganz wie Sie möchten, Herr Gruber.
– Ja.
Dann.
– Ja. Dann.
Mitteilungsheft
Reingard Söllner
Montag, 13. Dezember
Sehr geehrter Herr Gruber!
Anbei die Frühwarnungen für Lukas. Wie Sie sehen und wie schon am Elternsprechtag angekündigt, haben Lukas’ Leistungen in mehreren Fächern „in besonderer Weise nachgelassen“. In diesem Fall schreibt uns der Gesetzgeber vor, Frühwarnungen auszugeben. Ich bitte Sie, die Formulare (vier Stück) zu unterschreiben und mit Lukas in der nötigen Weise gegenzusteuern.
Mag. Reingard Söllner
Walter Gruber
U: Da Sie mit „gegensteuern“ vermutlich Nachhilfe meinen: Wir haben uns über das Wochenende in einem Nachhilfe-Institut angemeldet. Jetzt sollte es also aufwärts gehen.
mfG Walter Gruber
Walter Gruber
Sehr geehrte Frau Prof. Zemann!
Bezugnehmend auf Ihre Eintragung vom 3. 12. möchte ich spät, aber doch, höflich darauf aufmerksam machen, dass Lukas zurzeit voll mit Nachhilfe ausgelastet ist. Wie Sie vielleicht wissen, drohen ihm im
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