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Mittelalter, 100 Bilder - 100 Fakten

Mittelalter, 100 Bilder - 100 Fakten

Titel: Mittelalter, 100 Bilder - 100 Fakten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Barth
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Goldschmied Peter Henlein gelang es um 1510 die Bauteile der Uhr so weit zu verkleinern, dass man sie in der Hosentasche unterbringen konnte. Seine „Sackuhr“ besaß allerdings weder Pendel noch elastische Spiralfedern.
    Bereits im 13. Jahrhundert war die Brille erfunden worden. Da man aber das Material, Glas, Bergkristalle oder Berylle, vorerst nur konvex zu schleifen vermochte, hatten nur Weitsichtige etwas davon. Im gleichen Jahrhundert kam es mit der Erfindung des Handspinnrades zu einer Mechanisierung der Textilproduktion. Hand- oder später Treträder trieben auch die Drehbank des Drechslers oder sorgten in der Schmiede für das Öffnen und Schließen des Blasebalges.

Auf dem Vergil-Porträt (um 1538) des Malers Ludger tom Ring trägt der altrömische Dichter eine Lesebrille. Deren konvexer Glasschliff war den Technikern des Spätmittelalters möglich; so konnte immerhin der Altersweitsichtigkeit abgeholfen werden
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    (c) dpa/Picture Alliance, Frankfurt am Main

Händler als Arbeitgeber
Das Verlagssystem (13./14. Jh.)
    Es gab im Mittelalter noch keine Fabrikarbeit, und auch die Manufakturen existierten noch nicht, die im 17. und 18. Jahrhundert zur Arbeitsstätte von Hunderttausenden werden sollten. Aber es gab schon eine Art Hausindustrie, die heute mit dem Begriff „Verlagssystem“ bezeichnet wird. Im 13. Jahrhundert ist sie vor allem im Raum Flandern zu erkennen, danach auch in anderen Regionen. Ihr Charakteristikum ist, dass die produktive Arbeit zwar von vielen in der gleichen Weise, aber dezentral erledigt wird.
    Das Verlagssystem ging einher mit Bevölkerungswachstum, Siedlungsverdichtung, Differenzierung von Gewerbe und Fernhandel und einer gestiegenen Nachfrage nach den Gütern des täglichen Bedarfs. Das städtische Handwerk konnte nicht die Mengen produzieren, die nachgefragt wurden, und hatte auch das Kapital für Betriebserweiterungen nicht. Hier schlug die Stunde des Handels. Er war der Herr der Rohstoffe, er hatte das Geld, um in Massen einzukaufen. Da lag es nahe, dass er auch die Verarbeitung und den Verkauf der fertigen Ware in die Hand nahm.
    Das System des „Verlages“ sah dann so aus, dass z.B. ein Wollhändler aus Köln die zuvor etwa in England in großer Menge eingekaufte Ware an bestimmte Weber in seiner Stadt oder im Umland verteilte, die bereit waren für ihn zu arbeiten, und die fertigen Tuche anschließend nach Lübeck oder anderswohin verfrachtete. Der Handwerker hatte mit Einkauf und Verkauf nichts mehr zu tun und erhielt lediglich einen Arbeitslohn.
Entlohnung in Naturalien
    Die Abhängigkeit konnte noch weiter gehen. Dann finanzierte der Händler dem Handwerker die Anschaffung seines Arbeitsgeräts; der Webstuhl blieb bis zur Bezahlung, die vielleicht nie erfolgte, im Eigentum des Händlers. Oft gehörte dem Händler auch das Haus, in dem der Handwerker wohnte und arbeitete; dieser musste dann Miete zahlen, die mit seinem Lohn verrechnet wurde. Oder es gab überhaupt keine Entlohnung in Geld, sondern in Naturalien; „Trucksystem“ ist dafür heute der Begriff. Manche Händler bauten sich so ein regelrechtes Wirtschaftsimperium auf.
    Die Zünfte leisteten nicht grundsätzlich Widerstand. Hier und dort machten sie beim Verlagssystem mit, indem sie ihre Mitglieder geschlossen in die Zusammenarbeit mit den Verlegern führten und auf diese Weise mehr für sie herausholten, als diese es einzeln vermocht hätten. Dennoch hielten sich die Verleger meist an unzünftige Handwerker, die keiner Organisation angehörten.
    Das Imperium des Jehan Boinebroke
    Einen „echten Industriebanditen“ nennt ihn ein französischer Forscher: Jehan Boinebroke († 1285 oder 1286), Tuchhändler, Grundbesitzer und Schöffe in Douai in Flandern zog aus dem Verlagssystem maximalen Nutzen. Er betrieb Warenhandel und Geldverleih in Flandern, England und Schottland und beschäftigte zahlreiche Arbeiter und Handwerker. Aus erhalten gebliebenen Prozessakten lassen sich seine ausbeuterischen Praktiken rekonstruieren. Er bestimmte nämlich in seinem Testament, dass jeder, dem er geschadet habe, sich an seine Erben wenden könne. Und die Geschädigten meldeten sich: Lieferanten, die er übervorteilt hatte, Schuldner, von denen er hohe Pfänder verlangt und die ihre Schulden vor der Zeit hatten zurückzahlen müssen, Arbeiter, denen er den Lohn gekürzt, Mieter, die er wegen rückständiger Zahlung aus ihren Wohnungen geworfen hatte, vor allem aber die kleinen Handwerker, die in seinen Häusern wohnten,

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