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Mittelreich

Mittelreich

Titel: Mittelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Bierbichler , MITTELREICH
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funkelnden Bajonett herum, einem blank polierten, dass manche lachen mussten, ängstlich, hinter dem Rücken von anderen, und heimlich, dass niemand es sah, so komisch wirkte das und so verrückt, so schauerlich. Komisch, weil immer dieses finster fanatisch todernste Gesicht zu sehen war hinter dem blitzenden Bajonett; verrückt, weil alle wussten von dem Kopfschuss durch den Helm hindurch. Aber selbst wenn es regnete oder bewölkt war oder die Fronleichnamssonne schien, selbst wenn es kältestarrend fror, sah, wer sehen konnte, einen tödlich ernst gewordnen Witz, direkten Wegs, mit stieren Augen, der Monstranz voraus, Gebete murmelnd, geradeaus zur nächsten Wallstadt schreiten: die Bürgerwehr. Die Gläubigen samt Glauben hinter sich: die Dorfgemeinden. Weil der Bürger nichts auf die Bürgerwehren kommen ließ, die gleich nach Kriegsende gegründet worden waren, weil man ja nicht wissen konnte, wie lange der rote Spuk in der Hauptstadt drin noch dauern würde, ob er sich nicht sogar noch ausbreiten könnte aufs Land heraus, deshalb lachte man nicht öffentlich über den Seewirts Toni, sondern nur im Geheimen, mit ungutem Gefühl. Denn wenn sich das Kommunistische tatsächlich durchsetzen würde, wären ja alle Besitztümer bedroht, nicht nur die von den ganz Reichen, sondern auch die bäuerlichen. Denn Besitzer waren sie auch, die Bauern, wenn auch keine vermögenden. Reich waren sie alle nicht, höchstens vielleicht der Seewirt, und der stellte ja auch den Hauptmann der Bürgerwehr. Aber den Neid der besitzlosen Arbeiter kannten sie alle vom Stammtisch her. Wenn die zu mehreren nach ein paar halben Bier ins Reden kamen und laut redend das Unbehauene dachten und ihr neidisches Unbehagen zeigten, dann horchten die Bauern ganz unauffällig hin und fürchteten sich vor der ungezügelten Aufsässigkeit. Zumindest damals, wo alles, seit der Krieg zu Ende war, eine beängstigend undurchschaubare Entwicklung nahm. Selbst der Lot in Eichenkam, obwohl der alles andere als ein Schwarzseher war, redete nicht schlecht über den Anton oder lachte gar über ihn. Selbst er, der nach dem Tod seiner Frau, im Schmerz und in der Erregung an einem Sonntag nach der Kirche, vor den um den Maibaum versammelten Männern den Doktor Pachie aus der Kreisstadt einen hirnvernagelten militärnarrischen patriotenidiotischen Kurpfuscher genannt hatte, der seine, des Lots, Frau auf dem Gewissen habe, und der dafür vom Landrat eine Verwarnung wegen unpatriotischen Redens aufgebrummt bekam, der Lot, weil ihn der Metz, ein Kleinbauer aus Steinöd, hingehängt und der Bürgermeister sich geweigert hatte, die Verwarnung auszusprechen aus Pietät gegenüber dem Lot, wie er sagte, so kurz nach dem Tod von dessen Frau ... Selbst der Lot! Als ob sie als Mittel im Kampf gegen den Wahnsinn, der ihnen aus der Hauptstadt drohte, wie sie alle meinten, ganz auf den nächstliegenden, den dorfeigenen Wahnsinn setzten – so ließen sie den Seewirtssohn und seine Bürgerwehr gewähren. Und mit leuchtenden Augen sahen seine zwei Schwestern zu ihrem ent schlossenen Bruder Anton hinauf und öffneten unter seinem hypnotisierenden Blick ihre Herzen der kommenden Zeit.
     

     
    Beim Lotbauern in Eichenkam war die Katastrophe ausgeblieben. Der frühe und völlig unerwartete Tod der Bäuerin hatte in der Familie zuerst einen Schock ausgelöst. Die drei älteren Schwestern kümmerten sich anfangs vor allem um den Lot, der in den ersten Tagen nach der Beerdigung in Apathie zu versinken drohte. Er wirkte nach außen hin gleichgültig, tat seine Arbeit wie immer, aber auffällig mechanisch. Wenn ihm ein Fehler unterlief, ein viel geübter Handgriff misslang, auf eine Art, wie es im Arbeitsalltag immer wieder vorkommt und von ihm üblicherweise mit einem unterdrückten, weil gottesfürchtig gedachten Fluch quittiert wurde, so schien ihn das neuerdings nicht im Geringsten zu berühren. Sein bewegungslos wirkendes Gesicht, mit dem er jedes Fragen, jedes gute Zureden, jede Überraschung und jeden Ärger über sich ergehen ließ, verzog sich dann zu einer abfälligen Grimasse, einem Grinsen nahe, aber nie eines werdend, und es fehlten zum körperlichen und mimischen Ausdruck nur noch die dazugehörigen Worte: Was hat das alles noch für einen Sinn? Er befand sich auf dem Weg in einen tief empfundenen Nihilismus, der für ihn als Bauern und gläubigen Christen nicht begehbar war und deshalb unweigerlich in den baldigen körperlichen und seelischen Verfall führen musste.

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