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Mittelreich

Mittelreich

Titel: Mittelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Bierbichler , MITTELREICH
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reinstes nordisches Blut in den Adern der Mutter. Kirsten reiste nach Weihnachten, zum ersten Mal außerhalb des Sommers, an den See – zum Heiraten. Nicht heimlich, aber gegen den Widerstand aus beiden Familien, geduldet schließlich und zurechtgeredet zum patriotischen Dienst am Vaterland.
    Im Mai hat Kirsten ihren ersten Sohn geboren und zog danach ganz auf den Stankerhof. Sie gab sich alle Mühe, Bäuerin zu sein und Dienstmagd, Frau und Mutter. Sie vertrat den abwesenden Mann gegenüber Knechten und Mägden, vor den Nachbarn und den Behörden. Der Seewirt war immer wieder ein guter Ratgeber, wenn er Urlaub machte vom Schlachten in fremden Ländern. Er half ihr dabei, ihren Mann besser zu verstehen, von dem sie nicht viel mehr begriff als die Wucht seiner frühen Liebe. Alles andere an ihm war ihr furchtbar fremd, war ganz anders als das, was sie war und kannte. Und gerade das war es, was ihr die Liebe angestachelt hatte. Und das war es auch, was immer öfter fragte nach den möglichen Gründen und Ursachen der Liebe und nach den Ursachen der Zweifel, die den Fragen zugrunde lagen.
    Aber ihre Liebe war noch nicht verbraucht. Sie war nur offiziell geworden durch die Heirat und das Kind. Und anders deshalb, nicht mehr ganz so frei von Anstrengung und Gründlichkeit. Sie kostete jetzt Mühe. Sie fand nicht öfter statt als vorher auch. Auch jetzt sah sie den Rotenbuchner nicht häufiger als früher. Einmal im Jahr kam er nach Haus vom Krieg, vielleicht auch zweimal. Aber die Heimlichkeit war weg. Die Zeit dazwischen war nicht mehr gefüllt mit Bildern von der Sehnsucht. Die Zeit dazwischen war jetzt die Alltäglichkeit. Das veränderte die Lage und damit die Liebe. Die Liebe war jetzt nur mehr auf gut Glück zu haben. Ein Kind hat Kirsten kurz nach dem Krieg noch auf die Welt gebracht. Dann war Schluss. Heim und zu ihr ins Bett kam nicht mehr der Liebhaber, sondern der Trinker, der sie nahezu täglich schlug.
    Er ertrug nichts mehr an ihr: ihre Sprache nicht, nicht ihren Geruch, ihre talgweiße Haut ertrug er nicht mehr und ihr blondes Haar, ihre unaufdringliche Klugheit nicht und nicht ihre gehobene Bildung. Davon fühlte er sich überfordert und bedroht, weil er ihre Sprache, die hohe und der Schrift entliehene, als von ihr ausgeübte Macht auf ihn und über ihn empfand. Er fühlte sich minderwertig ihr gegenüber und prügelte sie hinunter ins Kreatürliche, um sich gleichwertig fühlen zu können. Er richtete sich auf an ihrer zu geringen Kraft fürs bäuerliche Element. Er führte ihr ihre Unfähigkeit vor, indem er sie von Unfähigkeit zu Unfähigkeit führte. Brüllend und schlagend trieb er sie in den Stall hinaus und unter die Kühe hinein. Melk!, schrie er, melk! Grob setzte er auf ihren Kopf den leer gebliebnen Eimer, dass sie da stand wie mit Helm und ohne Rüstung. Dann molk er selbst den Eimer voll in kurzer Zeit und drückte ihr Gesicht hinein und brüllte hemmungslos: Sauf! Sauf! Du sollst saufen, damit du es lernst! ..., und sie wusste sich gar nicht mehr zu helfen. Er trieb sie in den kalten Wald hinaus und drückte eine rohe Axt in ihre weichen Hände, damit sie von den gefällten Bäumen alle Äste schlage, die dicker noch als seine starken Arme waren. Sie konnte es nicht, und er schlug ihr ausgedörrte Fichtenzweige ins Gesicht, die wie Peitschen brannten auf der Haut. Schlag! Schlag ab die Äste! Schlag zu! Schlag! Sonst schlag ich dich ab!, brüllte er. Sie weinte. Er packte sie an ihren Haaren und schleifte sie durch den Stall an den Kühen vorbei bis auf die Tenne hinauf, gefüllt bis unters Dach mit Heu und Weizen. Er zerrte sie hinauf über die Leiter, warf sie hinein zwischen Staub und Ähren und nahm sie in voller Kleidung – ganz wie früher, als es noch Begehren beider war, doch jetzt das ganze Gegenteil. Danach drückte er ihr grob die Gabel vor die Brust und schrie: Stich! Stich! Stich die Gabel hinein ins Futter! Soll das Vieh verhungern? Stich! Sonst steche ich dich ab! Doch sie zupfte nur an losen Halmen, die die Oberfläche deckten. Sonst bewegte sich fast nichts. Da riss er ihr brutal die Gabel aus den Händen voller aufgeplatzter Blasen und stach hinein ins Heu und warf mit einem Hub den Haufen, groß wie eine Kuh, hinunter auf den Scheunenboden. Dann stieß er sie mit einem groben Renner hinterher, fast drei Meter tief. Nur der gedämpfte Aufprall auf der Kuh aus Heu verschonte ihre Knochen.
    Es wurde leichter für sie, als er immer seltener die Küche verließ, um

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