Mittelreich
bleiben.
LAIE : Das ist doch mal eine schöne Zusammenarbeit. Aber wie wollen Sie erreichen, dass es unter den Bauern hier keinen Aufstand gibt?
SPEZIALIST : Man wird einen sogenannten überörtlichen Erholungsflächenverein gründen, der sich aus Gemeinde, Landkreis, Land und der Bezirksregierung zusammensetzen wird, so dass keine Partei in Erscheinung treten muss. Nur die sozialen Demokraten werden mit großem Getue die Gründung dieses Vereins fordern und fördern. Nach der Gründung wird dieser Verein dann die Enteignungen durchführen und gering entschädigen. Ein Teil der Gelder kommt von den Trägern des Vereins und der Großteil – selbstverständlich unter strikter Geheimhaltung – von der Staatsregierung. Was wollen Sie mehr?
LAIE : Respekt! Raffiniert austarockt. Auf der Höhe der Zeit. Gratuliere! Krieg dem Bauernland und Friede den gepflegten Parkanlagen. Es lebe die Reformation! Dann ist also bald wieder alles trockengelegt, von den Sumpfwiesen bis zu den Unruheherden. Nur der Korruptionssumpf gedeiht.
SPEZIALIST : So wird die Erde wieder um ein Menschenbildnis hässlicher: den Freizeitmenschen. Der unbefreite Mensch ist für das Nichtstun nicht geeignet. Würde zeigt er nur im Joch der Unterdrückung. Der Wohlstand, der für den vertierten Menschen gerade so dosiert ist, dass er stillhält, doch ein höherwertig angelegtes Leben dahinter nicht zu erkennen vermag, richtet ihn so zu, dass ein Unterschied zum gut genährten Herdentier nicht mehr besteht. Das Schlimmste, was ihm angetan werden kann, ist, ihn in eine Freizeit zu entlassen, mit der er absolut nichts anzufangen weiß. Eigentlich, so glaubt er, sollte er ja glücklich sein darin. Doch der Druck, was tun zu müssen, um das Glück nicht zu versäumen, ist so groß, dass er in Wirklichkeit verzweifelt. Man sieht es diesen Freizeitmenschen an, dass Reformismus eins der schlimmeren Verbrechen ist, die den Menschen durch Menschen angedeihen.
Das Aussehen beider Herren hatte mittlerweile beträchtlich gelitten, sie wirkten gebückter, die Gesichter verschrumpelt und spitz, ihre Anzüge eher wie eine schützende Panzerhaut, und seltsam krumm kreisten ihre Arme und Beine ziellos vor dem Körper in der Luft. Ihre Worte wurden langsamer und dehnten sich mehr und mehr, und dumpf und hohl kamen die Töne wie aus einer Tiefgarage: Eine Langspielplatte, konnte man meinen, wäre man dabeigesessen, verliere an Geschwindigkeit.
LAIE : Seien wir froh, dass wir keine Menschen sind.
SPEZIALIST : Ja ja, seien wir froh. Und wenn man bedenkt: Bald werden sie sich auch noch selber zu Schmelze verflüssigt haben.
LAIE : Ja ja. Bald bald. In Bälde. Zu Schmelze. Verflüssigt. Ha ha!
Schweigend saßen sie noch eine Weile nebeneinander, bis sie Maikäfer geworden waren. Doch dann rafften sie sich auf.
SPEZIALIST : Ist Ihnen gar nicht aufgefallen, dass wir schon überständig sind?
LAIE : Wie überständig?
SPEZIALIST : Na ja: Es wird Herbst, und wir sitzen immer noch hier. Meinen Sie nicht, dass es Zeit wird, endlich, für einen Abflug?
LAIE : Gottogott! Herbst sagen Sie, Herbst! Sehen Sie, das kommt vom vielen Reden. Wir haben uns verredet, bis in den Herbst hinein. Ja dann: Kommen Sie!
Kommen Sie!
Und dann pumpten sie und pumpten, bis sie aufgepumpt waren, und dann stellten sie sich auf ihre Käferhinterbeine und breiteten die Flügel aus ... die begannen zu rotieren ... und mit einem Mal hoben sie ab und flogen mit Gesurre davon, weit hinaus über den See, bis sie abstürzten und ertranken.
Von diesem Zeitpunkt an gab es keine Maikäfer mehr in Seedorf.
In ihrer Küche, aufgelöst in Tränen, sitzt um Beistand heischend Kirsten, die ohne eigne Schuld geschiedene Frau des Rotenbuchner, und findet aus ihrer Verzweiflung kein Hinaus. So scheint es. Vom aufgehäuften fremden Seelenmüll noch gemeiner zugerichtet wirkt der Seewirt, der ihr voll Unbehagen gegenübersitzt und hilflos schweigt. Sie, mit 45 , hat sich verliebt in einen dominanten Mann, der eigentlich ihr Angestellter ist. Nun ist er ihr Lieb- und Leibhaber geworden, rücksichtslos und kalkuliert, und sie kann ihm nicht mehr widerstehen. Sie ahnt, dass ihre Schwäche noch mehr Unrat zwischen sie und ihre Kinder häufen wird, als es ohne ihr direktes Zutun bisher schon geschehen ist. So beichtet sie, zerknirscht und immer wieder unterbrochen von hysterischem Geschluchze, aus dem nicht nur ein fader, sentimentaler Schuldbedarf herauszuhören ist, sondern ebenso das
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