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Mittelreich

Mittelreich

Titel: Mittelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Bierbichler , MITTELREICH
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schließlich ganz darin zu enden und zu vertieren. Die Kinder hielt sie von ihm fern und versorgte sie im Wohnzimmer, das er nie betrat. Als er schließlich endgültig an nichts mehr teilnahm und kein Interesse mehr bei ihm für irgendetwas noch vorhanden war, beantragte sie Vormundschaft, da sie selber keine Rechte hatte. Der Seewirt wurde zum Vormund für den Rotenbuchner einbestellt.
    Im Frühjahr desselben Jahres ging der Rotenbuchner auf die Kreissäge los, die nahe der Scheune abgestellt war. Der Taglöhner hatte sie nicht aufgeräumt. Der Rotenbuchner bekämpfte die Säge wie ein wildes Tier, von dem er, seinen wirr hingebrabbelten Aussagen nach, angefallen worden sei, als man ihn schwerverletzt neben der demolierten Kreissäge liegend fand. Er lag mehrere Wochen im Krankenhaus und wurde genäht und mehrmals operiert. Als man ihn entließ, sahen Frau und Vormund keinen andern Ausweg mehr, als ihn ins Irrenhaus zu überweisen. Dort blieb er noch zehn Jahre lang, unangetastet von der äußern Welt, bis er an einem Heiligabend vom Anstaltsdach hinunter in den Tod gesprungen war.
    Jetzt greift die Kirsten nach der Hand des Seewirts, zart, schon zärtlich fast, und schaut ihn glasig an. So ein unnatürliches Geschau, denkt er, das habe ich bei ihr noch nie gesehen. Dabei ist sie doch, das riecht er, völlig nüchtern. Ich bin so glücklich, sagt sie, so verzweifelt glücklich. Der Wiesengrab, der ist was ganz Besonderes, glaub es mir. Wiesengrab, so heißt der Hofverwalter, den sie vor einem Jahr bestellt hat, damit er alles regelt im Betrieb, dem sie nicht gewachsen ist. Sie hat ihn angestellt, obwohl ihr erster Eindruck sie beinahe davon abgehalten hätte. Der erste Blick, mit dem er sie beschaute, hat ein Gefühl der Abscheu bei ihr ausgelöst: als ob er ein Besitztum anvisiere. Die unverschämte Klarheit dieses Blickes hat sie schwer gekränkt – und gleichzeitig gezähmt: Der Zorn stieg auf in ihr, um zu verrauchen. Er änderte abrupt den Gestus und nahm unterwürfig Haltung an. Seine vorgelegten Zeugnisse empfahlen ihn. Und weil der Winter schon zu Ende ging und die Felder hergerichtet werden mussten, ließ sie sich von den Papieren überzeugen und drängte ihre Abneigung zurück. So brachte der Wiesengrab eine leichte Verwirrung in die Rotenbuchnerin und ein Bein in die Tür zum Stankerhof. Kein Jahr verging, und er schob seinen Leib hinterher.
    Ich möchte ihn heiraten, sagte sie zum Seewirt, er hat mich gefragt, ich habe ja gesagt. Und ich möchte, dass du den Trauzeugen machst. Ich hab sonst niemand hier, dem ich vertrauen kann. Versuche aber nicht, mich davon abzuhalten. Ich habe mich bereits entschieden.
    Ja dann, murmelte der Seewirt. Dann gibt es ja auch weiter nichts zu reden.
    Nein, sagte sie, weil ich gut entschieden hab. Aber wenn du mir den Zeugen machst, hab ich das Gefühl, einen starken Beistand neben mir zu haben.
    Und ihr Geschau blieb glasig.
    Das muss das Glück sein, denkt der Seewirt, denn sie hat ganz sicher nichts getrunken, das würde ich doch riechen. Ich rieche aber nichts.
    Weil der natürlich was im Schilde führt, der Wiesengrab, denkt er. Der gräbt die doch nicht an aus Liebe. Der gräbt, weil ihr die Hangwiesen gehören. Und er schmeckt das Geld, das auf ihnen wächst. Herrgottnochmal! Dass die das nicht begreift!
    Die Tür geht auf in dem Moment, und etwas Weiches rollt herein. Der Wiesengrab hat ein noch junges, aber auch sehr teigiges Gesicht, das großflächig glänzt unter dem blonden, von einem Scheitel scheitelgrad von hinten her bis vorn zur Stirn durchfurchten vollen Haar.
    Ziemlich bleich und ungesund sieht das alles aus, über den rosaroten Hemden, die er meistens trägt, manchmal auch schwarz. Stahlblau stechen seine Augen, wenn er einen ansieht. Fast nicht auszuhalten für die einen, aufgeweckt und interessiert, meinen die anderen.
    Er ist schon über fünfzig. Kein Mensch weiß, wie er sein viel jünger wirkendes Gesicht durch den Krieg gebracht hat. Aber Theorien dazu gibt es genug. Lagerkommandant in einem KZ im Osten sei er gewesen und dort habe er sich, zweimal die Woche, serviert von nackten Jüdinnen, die nur mit einer weißen Schürze bekleidet waren, das Fleisch frisch geschlachteter Judenbabys auftischen lassen. Roh sei das Fleisch serviert worden, geschnitten in kleine Würfel. Zuerst in heißes Fett getaucht, das in einem Silbertopf ein Gasgerät am Kochen hielt, habe er das Fleisch verzehrt wie ein Fondue. Das Babyfleisch, so das Gerücht, habe ihm

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