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Mittelreich

Mittelreich

Titel: Mittelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Bierbichler , MITTELREICH
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er den schweren Körper leicht wie eine Offenbarung. Sein Fleisch wölbte sich um sein Geschlecht, auf dem er saß. Gepresst, sowohl an seine Schenkel als auch an den Kunststoffledersitz der Zündapp, fühlte es sich an wie fremdes Fleisch und doch das eigene.
    Wenn alles doch nur Fleisch wär, dachte er, und nicht immer wieder auch noch Fremd- und Eigenheit der andern, immer wieder, an die man sich anpassen muss, um nicht den Kürzeren zu ziehen, immer wieder, und dabei so anders ist und wird, als man sein will oder ist!
    Er fuhr hinunter nach Seedorf. Dort hatte er eine Verabredung mit dem Seewirt. Dessen fertig gemästete Sau war zu schlachten. Und darauf freute er sich jetzt. Die Schlangenlinie, die er am Anfang noch gefahren war, wurde immer gerader.
     
    Als der Zuber mit seiner Zündapp beim Seewirt die Hofeinfahrt hinauffuhr, war man dort gerade dabei, die Sausteige mitsamt der frustrierten und hungrigen Sau darin wieder in den Saustall zurückzutragen. Mit dem Zuber hatte niemand mehr gerechnet. Es war mittlerweile zwei Uhr am Nachmittag, und es war Anfang November. In drei Stunden würde es dunkel sein – und noch gab es kein elektrisches Licht im Schlachthaus beim Seewirt. Bei Kerzenlicht aber wäre es schon sehr riskant gewesen, die filigrane Arbeit des Wurstens zu verrichten: Die Messer waren scharf geschliffen. Das Reinigen der Därme, in die das Wurstbrat abzufüllen war, musste also mit scharfen Augen und unermüdlicher Akribie durchgeführt werden. Wenn noch Unausgeschiedenes in ihnen zurückbliebe, könnte das die Geschmacksaura der Würste so nachhaltig verderben, dass am Ende die ganze Arbeit umsonst getan worden wäre. Da war genügend Licht im Schlachthaus für den Tiertod so entscheidend wie im Pflanzenhaus fürs Wachstum.
    Obendrein war dem Seewirt nicht entgangen, dass der Zuber schon schwer angeschlagen sein musste. In dessen Gesicht sah er Witz und Verschlagenheit und das leicht aggressiv anzügliche Wesen haltloser ausgedrückt als sonst. Auch hatte der Seewirt gesehen, wie der Zuber beim Abstellen seines Fahrzeugs gerade noch das Gleichgewicht wiederherstellen konnte, ehe er mitsamt dem Moped in den Holunderstrauch hineingefallen wäre, der an der Schlachthauswand emporwuchs und die Blüten lieferte, aus denen die Seewirtin jedes Frühjahr in der Fettwanne ihre begehrten Hollerkücherl herausbuk. Und erstaunt sah er, dass der Storch trotzdem seinen Rucksack vom Gepäckträger nahm und auf die Schlachthaustür zustakste. (Des Zubers Körper war rund, und sein Fleisch wog schwer, aber seine Beine waren so dünn wie die von Adebar, dem Sumpfgänger. Darum hieß er: der Storch.)
    Willst jetzt du heut wirklich noch die Sau schlachten, Storch?, fragte der Seewirt zweiflerisch den Zuber, als der wortlos an ihm vorbeiwankte.
    Ja logisch will ich sie schlachten! Gemästet hast du sie ja schon, oder? Wieso fragst jetzt du da so blöd? Warum wär ich denn sonst da?, gab der gereizt zurück. Holts die Steigen mit der Sau nur wieder raus! Ich muss heute noch eine umbringen!
    Aber es ist doch schon Nachmittag, versuchte der Seewirt ihn noch einmal zu bremsen, geh in die Küche hinüber, lass dir von meiner Frau eine Brotzeit hinstellen und ein Bier oder meinetwegen auch zwei, und schlachten tun wir dann morgen. So pressiert es nicht.
    Das half aber nichts. Der Zuber tat so, als hörte er den Seewirt nicht. Er packte sein Werkzeug aus und reihte es feierlich säuberlich auf dem Schlachttisch auf, so wie er es immer tat, wenn es zu tun war: ein Messer neben das andere, Beil an Beil und Wetzstein zu Wetzstein. Und ganz an den Anfang, vorn hin in der Reihenfolge, legte er den noch ungespannten Bolzenschussapparat. Dann stelzte er zum glimmenden, fast schon ausgeglühten Ofen, auf dem eingemauert in Beton der große Wurstkessel wuchtete, bückte sich schwer und mühsam hinunter zum kleinen Ofentürl, öffnete es und füllte es mit den danebenliegenden Holzscheiten. Es waren gespaltene Fichtenstücke, die er einschürte, und schon nach kurzem fing es an, im Ofen drin zu knistern und zu knacken, und bald brannte es im Schürloch lodernd auf. Später würde er Buchenstücke nachlegen, um den Ofen auf hohem Hitzeniveau am Glühen zu halten.
    Wortlos reichte er dann dem Sohn des Seewirts, der gerade mit dem Viktor zusammen die Steige mit der deprimierten Sau darin wieder hereingetragen hatte, einen Kübel und bedeutete ihm damit, dass noch Wasser in den Kessel nachzufüllen sei: Und nicht zu wenig und nicht zu

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