Mittelreich
Neger hat man hier noch nie gesehen – indem der Schnapp dort also Fußballspiele der verschiedensten Art organisierte, bei denen dann Villenbesitzer gegen Bauern oder Frauen gegen Männer, aber auch Besatzungssoldaten gegen Besetzte spielten, und er, der Schnapp, währenddessen mit einem Bauchladen die Zuschauerreihe durchwanderte und alles verkaufte, was auf dem Schwarzmarkt so aufzutreiben war. Er hat dem Seewirt klargemacht, dass für ihn bei dem ganzen Schmarre, wie der Schnapp auf Ungarndeutsch sagte, durchaus ein paar Mark herauszuholen wären, wenn er einen Einsatz von den Bewerbern verlangen würde. Und so geschah es dann auch. Wenn eine Frau gewinnt, sagte der Schnapp, springt mehr heraus, weil die nicht so viel hinunterkriegt, beim Fresse ned und beim Saufe erscht recht ned. Wenn aber ein Mann siegt, könne es passieren, dass der Seewirt, trotz des Einsatzes, noch draufzahlen muss, weil da hocke ja halbe Ochse drobe in Kirchgrub, und wenn von dene ana gewinnt, frisst der Sie arm danach.
Wegen dieser konsequenten Aufsicht auf die Wirklichkeit hat der Schnapp neben Freunden auch Feinde, deren oft eh schon rote Gesichter dann manchmal dunkelrot einfärben, wenn er auftaucht. Und der Schnapp taucht andauernd irgendwo auf, ob in den Wirtshäusern oder auf Versammlungen, immer sitzt oder steht er mitten unter den Leuten und drängt ihnen Gespräche auf, will Sachen wissen und macht Vorschläge für dieses und jenes, erkundigt sich nach Möglichkeiten, Grundstücke zu pachten oder heruntergekommene Gebäude zu reparieren und auszubauen. Feinde hat er hauptsächlich in Kirchgrub droben. Da mögen sie ihn nicht. Schon seiner Sprache mit dem ausländischen Akzent wegen, und erst recht wegen dem, was er sagt. Die, die dem Schnapp eher wohlgesinnt sind, wohnen meistens unten am See, denn denen geht der Schnapp besonders raffiniert um den Bart und redet ihnen das Wort – eine Begabung, die sich für ihn langfristig auszahlen soll. Sehr sogar. Aber auch einem Teil der Seeanwohner wird das Geschmuse mit dem Schnapp nicht nur den Neid der Kirchgruber einbringen, sondern bald auch den Grund dafür: den Nachkriegsaufschwung nämlich, der in der schöneren Umgebung seine Ursache haben wird. Die Kirchgruber haben nur ein paar Hügel, von denen aus sie ins Gebirge schauen können, wenn sie aus ihrer Senkgrube herausgehen. Die Seedorfer aber haben einen ganzen See vor sich, der ihnen den Blick frei macht, so dass sie gar nirgends hingehen müssen, wenn sie ihre Berge herzeigen wollen. Sie machen dem Gast einfach nur das Fenster auf. Der Schnapp, als Zugereister, der kam und sah, hat das sofort erkannt. Die Einheimischen, die täglich durchs Privileg stapfen, wenn sie ihrer harten, bäuerlichen Arbeit nachgehen, haben da naturgemäß keinen geschärften Blick dafür. Sie hätten weitergemacht, wo sie vor dem Krieg aufgehört haben: Im Sommer überließen sie die Naturschönheiten den Stadterern und kassierten ein paar Mark dafür, in den übrigen Jahreszeiten begnügten sie sich mit Waldarbeit, Fischfang und Viehzucht. Und nur wenn einer pleite war oder einen neuen Stall bauen wollte, dann wurde auch mal ein Grundstück an einen geldigen Stadtmensch verkauft. Aber das kam eher selten vor. Den Menschen und der Landschaft hat das gutgetan. Ein vermehrtes Ausweiden ihrer eigenen Begabungen und der Reserven ihres Lebensraumes war bis dahin nicht Mentalität der Seebewohner.
Der Schnapp aber war ein gewiefter Hund, so einen hat es vorher im Ort nicht gegeben. Er hatte den Geschäftstrieb der Ruhelosen und Benachteiligten, in seinem Hirn nistete der Wille zur Vorteilsnahme, er war von Instinkten geleitet und dazu bereit, sich brachliegende Reserven anzueignen und sie auszuschöpfen, seien es Grundstücke oder Menschen. Der Schnapp erkannte die Neue Zeit am See, das Aufbruchspotential nach dem Zerstörungswerk des Krieges, in ihm schlummerte ein Anstifter, er sprühte vor Einfällen. Und damit entfachte er die Nachkriegsenergie bei den Besiegten und stichelte herum in ihren Komplexen, die die Niederlage im Eroberungskrieg ihnen gebracht hatte, bis aus dem dumpfen Gefühl, versagt zu haben, hier, wie in anderen Landstrichen auch, zuerst Trotz und aus dem schließlich ein Wirtschaftswunder hervorwuchs.
Und so ist eben dem Schnapp auch gegen den finanziellen Nachteil, den ein männlicher Sieg beim Verkleidungswettbewerb dem Seewirt naturgemäß einbrächte, eine Lösung eingefallen. Er konnte gar nicht anders. Es steckte in ihm drin.
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