Mitten im Gefühl: Roman (German Edition)
war ganz und gar furchtbar gewesen. Gerade hatte sie noch auf dem Sofa gelegen und beglückt irgendein rührseliges Mädchen in einer EastEnders -Episode jammern hören: »Warum werd’ ich ständig sitzengelass’n? Was is’n verkehrt mit mir, hä?« Im nächsten Augenblick war Tara ein merkwürdig schleichendes Gefühl heimtückisch den Rücken hochgekrochen. Ruckartig überkam sie dann die Erkenntnis, dass es sich um ein Gefühl der … Vertrautheit handelte.
EastEnders war vergessen. Tara zählte mental ihre ehemaligen Freunde ab. O Gott, war sie wirklich ein solcher Loser?
Es hatte den Anschein. Immer noch zählend erreichte Tara ihr sechzehntes und fünfzehntes Lebensjahr, ihre frühen Ausgehjahre.
Da war Trevor, mit der außergewöhnlichen Hoch-Tief-Stimme – Gott, wenn er sprach, klang es wie Jodeln. Dann Dave mit den lustigen Ohren, aber einem süßen Lächeln. Und Andy Buckingham, der zwar der Star der Fußballmannschaft an der Schule war, der aber dünne Storchenbeine und ein behaartes Muttermal auf der Wange hatte. Keinen von ihnen hätte man als perfekt bezeichnen können und doch …
»Hi, ich bin’s.« Daisy lugte um die Badezimmertür. »Hast du Lust, heute Abend auszugehen? Wir könnten ein paar Clubs in Bath unsicher machen.«
Als Tara nicht reagierte, warnte sie: »Wenn du die Fliesen noch heftiger schrubbst, brichst du demnächst auf der anderen Seite der Wand durch.«
»Jeder Junge, mit dem ich jemals ausgegangen bin, hat mit mir Schluss gemacht«, brach es aus Tara heraus. »Jeder einzelne, verblödete, dämliche Freund, den ich jemals hatte! Das ist mir erst letzte Nacht klar geworden. Ich habe sogar alle Namen schriftlich aufgelistet, damit ich nicht versehentlich einen vergesse. Mein Gott, kannst du dir das vorstellen? Es ist so demütigend. Ich habe nie Schluss gemacht, immer war ich diejenige, mit der Schluss gemacht wurde!«
»Komm schon, jetzt übertreibst du aber.« Daisy versuchte sie zu trösten. »Das kann nicht stimmen.«
»Es stimmt wohl!«
»Was ist mit deiner Schulzeit?«
»Gerade zur Schulzeit! Mein Gott, was bin ich für eine armselige Gestalt«, jammerte Tara.
»Na gut, wir beheben das.« Daisy übernahm die Kontrolle. »Heute Abend fahren wir nach Bath. Du kannst haufenweise Männer ansprechen und deine Telefonnummer an jeden Einzelnen von ihnen verteilen. Und wenn irgendeiner von denen anruft und dich auf einen Drink einladen möchte, kannst du schnöde ›Nein!‹ zu ihm sagen. Würdest du dich dann besser fühlen?«
»Das zählt nicht.«
»Klar zählt das. British Telecom verdient was und du übst nein sagen.«
10. Kapitel
Die Sonne kam heraus, als Daisy die Hotelauffahrt hinunterging. Sie hatte sich mit Barney Usher um exakt 13 Uhr an der Hauptpforte verabredet. Der Tonfall seiner Briefe ließ sie nicht daran zweifeln, dass Barney pünktlich sein würde.
Und ja, da war er und wartete schon auf sie. Er lehnte gegen eine der bemoosten Steinsäulen, trug einen marineblauen Sweater zu einem weißen Hemd und dunkelblauen Hosen.
Und eine der Nieren ihres verstorbenen Ehemannes pochte in seinem Innern.
Na ja, vielleicht pochte sie nicht, aber sie tat brav das, was Nieren eben so tun.
Als sie näher kam, sah Daisy, dass Barney Usher jünger als 26 wirkte. Das Sonnenlicht glänzte auf in seinem leuchtend blonden Haar. Er hatte ein süßes, jugendliches Gesicht, dunkle, hoffnungsvoll geschwungene Augenbrauen und große, braune Augen mit langen Wimpern, wie ein Cockerspanielwelpe.
Angesichts seines hübschen Äußeren musste sie sich einfach fragen, ob er vielleicht schwul war. Ha, das würde Steven richtig ärgern!
»MrsStandish?«, begrüßte er sie erwartungsvoll. Einen Augenblick lang fühlte sich Daisy versucht, über ihre Schulter zu blicken. Selbst als sie noch mit Steven verheiratet gewesen war, musste sie sich immer erst daran erinnern, dass dies ihr offizieller Name war. Es war regelrecht eine Erleichterung, zu MacLean zurückzukehren.
»Nennen Sie mich Daisy.« Sie lächelte ihm zu und fragte sich, ob er wohl ebenso nervös war wie sie. Was für eine seltsame Situation.
Aber Barney Usher schien der Gedanke an Nervosität gar nicht gekommen zu sein. Er schüttelte ihre Hand, und sein Gesicht strahlte beglückt auf.
»Ich bin Barney – aber das wissen Sie ja schon. Danke, dass Sie sich mit mir treffen … Sie wissen ja gar nicht, wie viel mir das bedeutet … Die Chance zu haben, Ihnen persönlich danken zu können … Was Sie getan haben, war so
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