Mitten im Gefühl: Roman (German Edition)
uralt. Mein Gott, wie gönnerhaft und lächerlich. Sie klang wie eine 75-jährige altjüngferliche Tante in kratzigen Wollschlüpfern.
Barney erwiderte verständnisvoll: »Das ist ziemlich schwierig für Sie, oder?«
»Für mich? Aber nein!« Sie schüttelte heftig den Kopf. »Gar nicht. Warum sollte es schwierig sein?«
Er betrachtete sie mitfühlend. »Es muss sich seltsam anfühlen. Seltsamer als für mich.«
»Na ja«, räumte Daisy ein, »es ist schon ein wenig merkwürdig. Aber nicht auf schlimme Weise«, fügte sie rasch hinzu, falls er sich beleidigt fühlen sollte.
»Wie wäre es, wenn ich Ihnen etwas über mich erzähle?«, bot Barney an. Plötzlich schien er der Erwachsene zu sein, der alles unter Kontrolle hatte. Eifrig fuhr er fort: »Ich plaudere ein wenig über mich, und dann können Sie über sich reden und über Ihren Ehemann Steven … aber nur, wenn Sie wollen. Und dann gehe ich wieder. Wie klingt das?«
Daisy wurde klar, dass er diese Begegnung zweifelsohne von langer Hand geplant hatte. Es bedeutete ihm so viel, natürlich hatte er alles genau durchorganisiert. Dankbar und erleichtert nickte sie ihm zu. »Das klingt gut.«
Gemeinsam betrachteten sie daraufhin die Fotos, die er mitgebracht hatte.
»Das bin ich mit sieben«, erklärte Barney. »Das ist meine Mum. Sie lässt Sie übrigens herzlich grüßen. Und das sind wir vor etwa drei Jahren. Wir sind auf unserem Balkon und es war ein stürmischer Tag, darum spielen Mums Haare verrückt.«
»Ein Balkon«, neckte Daisy. »Das ist aber todchic. Und man sehe sich nur diese Aussicht an!«
Barney lächelte. »Es ist der 27. Stock einer Hochhausanlage, nur deshalb haben wir eine Aussicht. Und nein, todchic kann man es nicht gerade nennen, aber es ist mein Zuhause. Na ja, es war mein Zuhause.« Er zog schwungvoll das nächste Foto heraus. »Aber jetzt wohne ich hier. Ich teile mir eine Wohnung mit ein paar Freunden von der Arbeit.«
Daisy studierte das neue Foto von Barney und drei anderen Jungs, die lachend auf einem Sofa saßen.
Es bestand nun wirklich keine Gefahr, dass jemand das abgebildete Wohnzimmer als todchic bezeichnen könnte. Es war eine typische Junggesellenbude, mit übervollen Aschenbechern und Bierflaschen und das Sofa fleckig und zerrissen.
Barney lächelte entschuldigend. »Es ist schon etwas. Aber meine Kumpels sind großartig. Bis letztes Jahr hätte ich nie gedacht, dass ich mal so normale Sachen machen könnte wie Discos besuchen oder Mädchen treffen. Ich war so lange im Krankenhaus und habe das alles verpasst, da kommt es mir wie ein Wunder vor. Ich habe so viel Glück, dass mir dieser Neuanfang geschenkt wurde.«
Daisy bekam einen Kloß im Hals. Gleich darauf wurde der Kloß noch größer, als er ihr das dritte Foto zeigte.
»Das bin ich an meinem achtzehnten Geburtstag. Ich hatte eine schwierige Phase hinter mir, darum sehe ich ein wenig schwächlich aus.«
Die Untertreibung des Jahrhunderts.
Das Foto war im Krankenhauszimmer aufgenommen worden. Barney, totenbleich und mit eingefallenen Wangen, war an eine riesige Maschine angeschlossen, aber er lächelte und streckte einen Plastikbecher in die Kamera. Geburtstagskarten hingen über dem Bett, und Freunde und Angehörige hatten sich um das Bett versammelt, hielten unsicher Teetassen und Teller mit Geburtstagstorte in der Hand.
»Nicht die wildeste Party aller Zeiten«, meinte Barney fröhlich. »Ich musste mich einer Blutwäsche unterziehen und war mit Medikamenten vollgepumpt. Mein Tantchen brach alle fünf Minuten in Tränen aus, weil sie glaubte, ich stünde an der Schwelle des Todes, und meine Neffen bettelten darum, nach Hause gehen zu dürfen, weil ihnen vom Krankenhausgeruch schlecht wurde.«
Daisy hätte ihn am liebsten umarmt. »Sie haben einiges nachzuholen.«
»Und wie!« Barneys Augen funkelten. »Ich führe das Leben, das ich nie zu bekommen erwartet hatte, und ich werde keinen einzigen Tag davon verschwenden.«
Beim Mittagessen im Speisesaal erkundigte er sich bei Daisy nach Steven, und sie erzählte ihm alles, was er hören wollte. Daisy, die für alle Eventualitäten gewappnet war, zog ein paar Fotos von Steven aus ihrer Handtasche und überließ sie Barney einige Minuten zur aufmerksamen Betrachtung. Weil sie fürchtete, dass er erneut sein ›Mein Gott, wie müssen Sie ihn vermissen‹ anstimmen könnte, erklärte sie: »Und jetzt will ich alles über Ihre Arbeit hören!«
Barney arbeitete für den Staat. Er war Verwaltungsangestellter im
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