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Mitten in Amerika

Mitten in Amerika

Titel: Mitten in Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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ganzes Pferd essen.«
    »Dann empfehle ich Ihnen die Spezialität des Hauses.«
    Als die Spezialität aufgetragen wurde, hatte Bob für einen schrecklichen Augenblick den Eindruck, es handele sich tatsächlich um mindestens ein halbes Pferd. Ein kiloschwerer Fleischbrocken bedeckte den wagenradgroßen Teller bis zum Rand. Die Kellnerin, ein blondes Mädchen in der Uniform des Restaurants – Cowboystiefel, Minirock und enges T-Shirt mit dem Aufdruck T RAIL D UST S ALOON –, lud ein Sortiment Beilagen ab: Maisgrütze, Kartoffelpüree, Sauciere mit Bratensauce, eingelegte rote Bete, Maisbrot, fritierte Zwiebelringe, gefüllte Pilze, eine Fleischtomate in Scheiben, frischgeriebener Meerrettich in einem Töpfchen, geschmorte Okraschoten und ein Schälchen mit winzigen, tödlich scharfen Chilischoten.
    Waldo hatte eine Cremesuppe bestellt, und die beiden Frauen stocherten in ihrem Hummersalat herum.
    Eine der beiden, die, deren Lippen von faltiger Haut ein- gefaßt waren, sprach – ihre Namen hatte er schon vergessen. »Was die Ranch betrifft«, sagte sie und zwinkerte schnell mit den Augen, »haben Sie sie schon besichtigt?«
    »Nein, Ma’am«, antwortete er, den Mund voll mit blutigem Fleisch. »Ihre Mutter war dafür nicht zu gewinnen.«
    »Dann steht Ihnen ein Erlebnis bevor. Die Ranch ist wirklich wunderschön, und wir finden, es wäre einfach herrlich, wenn die Luxusruhesitze im Stil des Originalgebäudes gestaltet werden könnten. Das Haus wurde 1 891 erbaut, mit dem Sandstein aus der Gegend. Blick auf den See. Wohnzimmer und Küche mit handbehauenen Balken. Es gibt ein Gästehaus, dasfrüher für sehr, sehr vornehme Gäste diente – unsere Eltern waren mit allen besseren Familien in Texas befreundet und großzügige Gastgeber, aber heute wird es leider nur noch benutzt, wenn einer von uns zu Besuch ist. Zur Ausstattung der Ranch gehören Gehege, Boxen, eine Scheune, eine Werkstatt, drei Zeltlager. Auf dem Ranchgelände gibt es viele seltene Pflanzen und eine Vielzahl wilder Tiere. Wir waren schon immer Naturschützer. Bei einem Verkauf wäre es natürlich in erster Linie unser Wunsch, daß die Ranch als Standort vornehmer Alterssitze den Leuten weiterhin Freude macht.«
    Waldo Beautyrooms runzelte die Stirn in gespielter Verzweiflung. »Jetzt mal langsam, Eileen«, sagte er. »Wir haben Mr. Dollar, ich meine Bob, noch gar keine Einzelheiten erzählt. Und die gute Nachricht auch nicht. Wie schmeckt Ihr Steak, Bob? «
    »Köstlich«, sagte Bob, der mühsam ein schmerzhaft großes Stück Fleisch hinunterschluckte und mit Bier nachspülte.
    »Die gute Nachricht ist die, daß unsere Mutter unter Umständen mit dem Verkauf einverstanden ist. Sie hat gesagt, sie wolle nach Oak Shadows Village kommen. Ich habe mich mit verschiedenen Immobilienleuten darüber unterhalten, was wir für das Grundstück erwarten können – ein herausragendes Stück Land mit eigenem Grundwasser und einem Achtundzwanzig-Morgen-See, das Haus nicht zu vergessen, das unter Denkmalschutz steht, die Wirtschaftsgebäude und die achttausend Morgen erstklassiges Weideland, ganz abgesehen von allem, was meine Schwester bereits erwähnte. Man hat uns gesagt, daß ein vernünftiger Preis sich unter der Maßgabe, daß das Land aufgeteilt und bebaut wird, auf neun Millionen Dollar belaufen dürfte.«
    Bob Dollar probierte gerade eine Chilischote, als Mr. Beautyrooms die Zahl in den Raum stellte. Er holte so abrupt Luft, daß er sich an der Chilischote verschluckte, keuchte und hustete. Ein Kellner eilte herbei; offensichtlich mit dem Heimlich-Rettungsgriff vertraut, schlang er seine kräftigen Arme umBobs Brustkasten und schüttelte ihn. Die Chilischote flutschte über den Tisch und blieb speichelglänzend an Waldo Beautyrooms’ Seidenkrawatte kleben. Obwohl die Chilischote entfernt war, ließ sich das von ihrer Schärfe nicht behaupten; Bob würgte und keuchte mit tränenden Augen. Er griff nach seinem Wasserglas und leerte es. Er nahm das Bierglas und trank es aus. Hilfesuchend, ohne auf den Gesichtsausdruck seiner Gastgeber zu achten, setzte er die Sauciere an die Lippen und nahm einen tiefen Schluck von der lindernden Flüssigkeit. Er bat um Entschuldigung, ging auf die Herrentoilette, wo er sich übergab, trank Wasser aus dem Wasserhahn, wusch sich das Gesicht, trank wieder Wasser, übergab sich wieder und kehrte dann in das Restaurant zurück. Waldo Beautyrooms erwartete ihn allein. Dankbar stellte Bob fest, daß die Überreste seines Steaks

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