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Mitten in Amerika

Mitten in Amerika

Titel: Mitten in Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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geholfen, daß er im Schatten der anderen stand, bei der Arbeit, wenn es um Verantwortung ging. Er marschierte nicht gerne in der ersten Reihe. Wenn es hart auf hart ging, dann konnte man sich auf ihn verlassen, aber er hat nie großes Tamtam darum gemacht und sich nie in den Vordergrund gedrängt. Aber wenn Not am Mann war, dann war er immer zur Stelle, dann war er der sprichwörtliche Fels in der Brandung. Dafür war er meilenweit berühmt.«
    Sie seufzte, bevor sie weitersprach. »Manchmal hat er auch Blödsinn gemacht, dummes Zeug, wie es nur Männern einfällt, benommen hat er sich wie ein Fuhrknecht, und dem Whiskey war er nicht gerade abgeneigt. Das vergessen Sie jetzt bitte. Die Toten sollen in Frieden ruhen. Was gab es nicht alles, was er auf keinen Fall tun wollte, Rasen mähen zum Beispiel. Seine Cowboy-Ehre ging ihm über alles. Aber er war ein guter Mensch. Nichts Herausragendes, nichts Besonderes, aber mit Pferden und Vieh konnte er umgehen. Er hatte fast alle Tiere im Griff, und man konnte ihm vertrauen. Sehen Sie nur auf den Tisch, da sehen Sie ihn mit zweiundzwanzig, bereit, Sie anzulächeln, und Sie sehen, wie stark er war und wie arbeitswillig, geradewegs, wie er dachte, auf dem Weg in das Gelobte Land. Man sollte nicht meinen, daß er verdient hätte, was das Leben ihm später beschert hat. Das Baby, das er da hält, ist Waldo, acht Monate alt und so unruhig, daß das Foto ganz unscharf ist. Er war unser erstes Kind, am 4. September 1939 geboren, unser einziger Junge. Er wurde Waldo genannt nach einem Backpulver, das mir gefiel – Waldo’s Cream Powder. Die zwei anderen waren Mädchen. Jungen sind mir immer noch lieber als Mädchen.Mädchen sind frech und impertinent und lügen einem schamlos ins Gesicht.«
    Aus der unsichtbaren Zimmerecke ertönte eine zweite Stimme. »Das ist für heute wahrscheinlich genug, Mrs. Beautyrooms. Ich muß mich beeilen, weil ich bis drei Uhr ein paar Anrufe machen muß. Können wir morgen weitermachen? Dann könnten wir uns über Ihren Sohn Waldo unterhalten. Er ist doch eine wichtige Persönlichkeit im Ölgeschäft.«
    Freda Beautyrooms schnaubte verächtlich. »Das hätte er gern. Aber wahrscheinlich haben Sie recht.« Sie schwieg einen Moment und sagte dann: »Die Mutter meines Mannes sagte immer, er wäre zu klug für diese Welt. Kinder, die zu klug waren, starben jung. Und da Waldo noch lebt, ist er vermutlich nicht der Klügste.«
    Ein sehr kleines blondes Mädchen erschien in dem Türbogen. Sie hatte einen kleinen Kassettenrecorder und einen großen Schreibblock bei sich, dessen Seiten mit schräggeneigter Schrift vollgeschrieben waren.
    »Oh, hallo«, sagte sie zu Bob. »Ich bin Evelyn Chine. Ich schreibe an einer Magisterarbeit in Soziologie über Woolybucket. Mrs. Beautyrooms ist eine der ältesten Bürgerinnen der Stadt und kann sich an die Zeit erinnern, als die Straßen noch ungepflastert waren.« Sie machte einen nervösen Eindruck, blickte ihm über die Schulter statt ins Gesicht im Bemühen, einem Augenkontakt auszuweichen.
    Bob schüttelte ihre Hand und murmelte etwas. Er platzte schier vor Neid. Warum war er nicht auf die Idee gekommen, sich als Student auszugeben, der mit einer Arbeit über beispielsweise Grundstücksbewertung und Landnutzung beschäftigt war? Was für eine großartige Finte – konkurrenzlos genial, verglichen mit der Luxusruhesitzmasche.
    Evelyn Chine verschwand, ein Kabel aus dem Recorder hinter sich herschleifend.
    »Kommen Sie«, sagte Freda Beautyrooms und deutete miteiner Geste in das kleine Zimmer. »Das war mein Mann O. K., von dem ich ihr erzählt habe. Ich war gerade an der Stelle, wo ich erzählen wollte, wie O. K. gestorben ist, als sie es auf einmal so eilig hatte und wegrannte. Es war wegen Waldo. Waldo konnte vom Schwimmen nicht genug kriegen und machte bei diesen Wettkämpfen in der Schule mit, wo sie im Schwimmbecken hintereinander herschwimmen. Ich persönlich fand das ziemlich idiotisch, aber O. K. war ganz aus dem Häuschen, wenn Waldo ein Abzeichen gewann oder eine Trophäe, die aus einem halbnackten Kerl bestand. Als Waldo fünfzehn war, gab es einen großen Schwimmwettbewerb, bei dem mehrere Schulen aus dem Panhandle und aus Oklahoma mitmachten. Vielleicht sogar aus New Mexico. Das ist lange her. Ausgetragen wurde er am College in Goodwell. Im ersten Teil hat Waldo gewonnen. Der arme O. K. war so aufgeregt und sprang rum und schrie: ›Waldo! Waldo!‹, daß er auf dem nassen Beckenrand ausgerutscht und an

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