Mitten in Amerika
daß der alte Indianer sich nur schlafend stellte.
Kurz vor Trinidad richtete sein Mitfahrer sich auf und spähte aus dem Fenster.
»Fast schon da, oder?«
»Ja«, sagte Bob kurz angebunden, noch immer beleidigt,
daß er stundenlang schweigend hatte fahren müssen. »Ich ziehe zu meiner Tochter«, sagte der alte Knabe.
»Das sagten Sie bereits. Als ich Sie mitnahm. Schön, daß Sie
Familie haben.«
»Sie hat eine gute Stelle als Krankenschwester. Sie und ihr Mann verdienen gut. Großes Haus. Ich kriege mein eigenes Zimmer und mein eigenes Badezimmer. Sie haben keine Kinder.«
»Dann können Sie einander Gesellschaft leisten«, sagte Bob. Es sei denn, dachte er, du schläfst am Eßtisch ein oder vor dem Fernseher, in welchem Fall du ihnen keineswegs Gesellschaft leisten wirst.
»Mein Schwiegersohn lernt die Medizinmethoden. Ich bringe sie ihm bei.«
»Medizinmethoden? Was ist das?«
»Zeremonien, Tänze«, sagte der alte Mann unbestimmt und machte eine Handbewegung in Richtung des Horizonts.
Unvermittelt richtete er sich wieder auf und spähte nach Westen über die vorbeigleitenden Zäune.
»Nächste Ausfahrt«, sagte er. »Dann etwa eine Meile nach Westen.«
Gehorsam verließ Bob die Interstate und gelangte auf die Route 12. Sie fuhren nach Westen, doch nach einer Meile sagte der alte Mann nichts.
»Sind wir bald da?« fragte Bob.
»Ja, ziemlich bald«, sagte der Mann.
Bob fuhr weiter. Nach ein oder zwei weiteren Meilen gab er Gas, und dann flitzte er mit fünfundsechzig Meilen in der Stunde dahin, und die Meilen rasten unter den Reifen vorbei. Der alte Mann studierte die Landschaft und sagte nichts.
»Wie weit ist es noch?« fragte Bob. »Ich dachte, es wäre nureine Meile von der Hauptstraße entfernt. Ich muß nach Denver, wissen Sie.«
»Ja«, sagte der Mann. »Ich glaube, wir sind schon lange daran vorbeigefahren.«
»Herrgott, warum haben Sie denn nichts gesagt?« »Weiß ich nicht«, sagte der Mann.
Mit quietschenden Reifen wendete Bob. Der Tacho kletterte auf achtzig Meilen in der Stunde.
»Sagen Sie mir jetzt Bescheid, wenn wir in die Nähe kommen«, sagte er.
»Ich war noch nie dort«, sagte der alte Mann. »Es ist eine von diesen Straßen.«
»Eine von diesen Straßen? Wie interessant. Können ja nicht mehr als fünfzig sein, die von der Hauptstraße abgehen. Wie heißt die Straße denn?«
»Weiß ich nicht. Ich habe vergessen, den Brief meiner Tochter mitzunehmen.«
Bob begriff, daß er in der Tinte saß. Der alte Knabe hatte keine Ahnung, wohin er wollte, und der Brief mit der Adresse enthielt höchstwahrscheinlich auch die Telefonnummer der Tochter.
»Haben Sie die Telefonnummer Ihrer Tochter dabei?« »Nein. Würde nichts nützen. Sie ist in der Arbeit.« »Wissen Sie, wo sie arbeitet?«
»Sie ist Krankenschwester.«
»Na ja, aber das kann sie genausogut in einem Krankenhaus oder in einer Rehaklinik oder in einem Heim oder in einer privaten Institution oder weiß Gott wo sein. Wir fahren zur nächsten Telefonzelle und schauen im Telefonbuch nach. Vielleicht finden wir da, was wir suchen.« Und er hielt vor dem Huerfano-Selbstbedienungsladen mit seinen bunten Zapfsäulen an.
»Keine Telefonzelle draußen. Muß sich drinnen befinden. Wie heißt Ihre Tochter?«
»Shirley. «
»Shirley und weiter?«
»Shirley Brassleg. «
Bob betrat den Laden und sah sich nach einem Telefon um. An der Wand neben den Toiletten sah er ein helles Rechteck, wo sich zweifellos einmal ein Telefon befunden hatte.
»Sie haben es weggenommen«, sagte die übergewichtige Frau hinter der Theke. »Letzte Woche.«
»Um Himmels willen, wie soll ich dann telefonieren?« »Jeder hat heutzutage so ein Handy. Die alten Münztelefone braucht niemand mehr.«
»Ich brauche eins. Ich muß herausfinden, wo diese Frau wohnt. Ich habe ihren Vater in meinem Wagen. Er war als Anhalter unterwegs, und ich habe ihn von Oklahoma hergefahren. Er weiß nicht, wo seine Tochter wohnt.«
»Wie heißt sie?« Die Frau hatte ein Telefonbuch in der Hand, hielt den Daumen bereit, durch die Seiten zu blättern.
Bob kam sich albern vor, als er den Namen der Krankenschwester sagen mußte. »Shirley Brassleg. Sie ist Indianerin. Er sagt, daß sie als Krankenschwester arbeitet.« Den ungläubig- sarkastischen Ton konnte er nicht unterdrücken.
»Arbeitet sie in Trinidad?«
»Ja, sagt er jedenfalls. Und daß sie an einer Straße wohnt, die von dieser hier abgeht. Er hat den Brief mit dem Straßennamen verloren.«
»Hier steht
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