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Mitten in Amerika

Mitten in Amerika

Titel: Mitten in Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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als sich zu betrinken und Kinder zu machen, das Kindergeld für Schnaps auszugeben? Die jungen Männer dort denken nicht: Was werde ich später einmal sein? Antwort: Ein Trunkenbold, der jung und im Elend stirbt und kranke und behinderte Kinder hinterläßt. Sie denken nur: Wie lange werde ich leben?«
    Bob errötete vor Scham; er kam sich wie ein wohlhabender egoistischer Jammerlappen vor.
    »Mehr Wapiti, Schwiegervater?« Bob Mason hob mit der Serviergabel eine tropfende Scheibe hoch. Das zarte Fleisch pendelte. Doch der alte Mann hielt den Blick auf Bob gerichtet.
    »Sie müssen Ihren Weg allein finden. Vielleicht kann Ihnen Ihr Onkel dabei helfen.«
    »Vielleicht«, sagte Bob kleinlaut und niedergeschlagen. Der alte Mann sagte zu der Zimmerdecke: »Habt Erbarmen. Helft diesem armen Mann, ein gutes Leben zu führen.«
     
    Für Bob war der schöne Abend verdorben. Sobald wie möglich verabschiedete er sich. Als er den Saturn anließ, sah er Licht im Zimmer des alten Mannes aufleuchten, sah er Shirley Mason den Fernsehapparat einschalten und die zitternden Bilder in Bewegung setzen.

28. Gebraucht, aber so gut wie neu
    E s war nach Mitternacht, als Bob die kleine Wohnung über dem Laden betrat. Alles war still und unverändert – ein paar Teller auf dem Abtropfbrett, die Arbeitsflächen blitzblank geputzt, die Stühle ordentlich um den Tisch herum versammelt, ein kleines Häufchen Rechnungen neben Onkel Tams Scheckbuch und Stift zurechtgelegt, das Honigglas in Bärenform in der Mitte des Tisches. Bob schaute in das Scheckbuch und sah, daß der Kontostand 91,78 Dollar betrug. Bis auf Minirechnungen würde keine einzige in voller Höhe beglichen werden. Im Kühlschrank sah er Karottenbündel, zwei Kohlköpfe, verfaulende Bananen, eine Plastiktüte voller Chinakohl und neben ein paar geruchsneutralen Äpfeln ein Lauchbündel und eine Plastikschale mit Pilzen. Auf der Plastikverpackung einer vorgeschnittenen Salatmischung war vierzehnmal zu lesen, daß die Blätter »Biologisch!« waren. Das Ganze sah wenig einladend aus, bis Bob den zusammengerollten Pizzateig und den Mozzarella entdeckte. Onkel Tam wollte offenbar eine Pilz-Zwiebel-Pizza backen, Bobs Lieblingspizza. Als er sich in der ärmlichen Küche umsah, wurde ihm klar, daß er nicht nach Hause zurückkommen und bei Onkel Tam leben konnte, falls er gefeuert werden sollte.
    Er hörte, daß Onkel Tams Schlafzimmertür geöffnet wurde, und drehte sich zu seinem Verwandten um.
    »Bob! Ich habe dich gar nicht vorfahren gehört. Magst du eine Tasse Koffeinfreien?«
    »Klar.« Bob betrachtete seinen Onkel kritisch. Er hatte das gleiche Katzengesicht wie Bob, das genetische Vermächtnis der unfotografierten und vor langer Zeit verstorbenen slawischenVorfahren, deren Aussehen sich über Generationen hinweg erhalten hatte. Onkel Tam wirkte kleiner, grauer, auf bedrückende Weise müder. Er war so mager geworden, daß sein mit grünen Elchen bedruckter Pyjama wie ein alter Vorhang an seinem Körper hing.
    »Bist du immer noch auf dem vegetarischen Trip?«
    »Sicher. Aber die Karotten sind nicht mehr besonders spannend. Jetzt versuche ich es mit Exoten – Chayote, Kaktusblätter, Kakipflaumen. Es gibt eine neue Kiwisorte, ganz klein und süß, ohne diese pelzige Haut. Glatt. Schmecken wie Trauben. Wahrscheinlich genetisch verändert. Aber manchmal träume ich davon, auf einen Sitz ein ganzes T-Bone-Steak zu verputzen. Wahrscheinlich wäre schon der erste Bissen mein Tod. Na ja, auf jeden Fall wollte ich uns eine Pizza machen. Wenn es nicht zu spät ist. Wenn du überhaupt noch Hunger hast. Wie war der Wapiti? «
    »Der Hirschbraten war wunderbar. Ich habe dir eine Scheibe mitgebracht. Und Pizza klingt hervorragend. Morgen, oder? Ich helfe dir dabei. Was geht in der Nachbarschaft so vor sich?«
    » Oh, für Aufsehen hat Dickie Van Hose gesorgt, erinnerst du dich an den? Dem der Drugstore gehört hat? Van Hose Pharmacy? « Er hatte unterdessen den Filter eingesetzt und Kaffee und Wasser eingefüllt.
    »Klar. Ein fetter Bursche mit dicken Augenbrauen. Was ist passiert?«
    »Er hat sein ganzes Geld bei einem Aktienbroker investiert. Alles in Technologie-Aktien. Ist baden gegangen. Hat alles verloren, seine Hütte verpfändet, sie verloren, unter dem Ladentisch Drogen verkauft, Approbation und Laden verloren. Ende, aus. Und da ist er offenbar schwermütig geworden. Hat seine Frau und die drei Kinder umgebracht, einen Abschiedsbrief hinterlassen, daß er ihnen nur das

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