Mitten in Amerika
Stationszimmer der Schwestern.
»Wie steht es um sie?« fragte er die hübsche Krankenschwester.
»Das da ist ihre Ärztin, Dr. Brun«, sagte die Schwester und deutete mit einer Kopfbewegung auf eine Frau, deren Ähnlichkeit mit einer Bulldogge sich nicht auf die eingedrückte Nase beschränkte und deren weißer Kittel sie als Knochenklempner auswies. »Die müssen Sie fragen. Oh, Dr. Brun – Evelyns Bruder möchte mit Ihnen sprechen.«
Die Ärztin trat auf Bob zu, ergriff seine Hand und quetschte sie mitfühlend. Ihr Atem drang in übelriechenden Stößen hervor, und sie sah Bob mit harten grünlichen Augen an, grün wie unreife Beeren.
»Ich bin Evelyns Ehemann«, sagte er und stellte sich vor,wie Evelyns Vater ihren Rollstuhl das Kirchenschiff entlang- schob, wobei die Braut sabbernd mit dem Kopf wackelte. »Wie steht es um sie?«
»Ich habe es gerade den Eltern erklärt. Sie haben nichts davon gesagt, daß sie verheiratet ist.«
»Sie wissen nichts davon«, sagte Bob schlicht. »Wir haben heimlich geheiratet.«
»Ach, so – wissen Sie von den Umständen, unter denen sie verletzt wurde?«
»Ja. Evelyn geht oft mit verheirateten Männern in Motels. Das ist eine Sache, an der wir arbeiten. Sie hat ein ZwölfPunkte-Programm angefangen, um davon loszukommen. Eifersüchtige Ehefrauen haben schon häufiger auf sie geschossen, aber meistens schießen sie daneben. Eine Kopfverletzung hatte sie noch nie. Wir hoffen sehr, daß wir ihr mit Liebe und Zuwendung über diese Sache hinweghelfen können.«
Die Ärztin holte tief Luft, als wolle sie ihre Lunge mit einer Sauerstoffinfusion auffrischen.
»Sind Sie etwa Reporter?« sagte sie.
»Nein«, sagte Bob. »Ich bin in der Immobilienbranche tätig.«
»Ach ja? Na gut, sie hat eine lebensgefährliche Verletzung erlitten. Die Kugel ist zersplittert, und die Splitter sitzen im Gehirn. Es ist weniger riskant, sie in situ zu lassen, als sie zu entfernen. Was uns im Augenblick Sorgen macht, ist die Gehirnschwellung. Der Schädelknochen bietet dafür keinen Raum, und wenn das Gehirn weiter schwillt, müssen wir ein Stück Knochen entfernen.«
»O Scheiße«, sagte Bob und wurde mit einem vernichtenden Blick bedacht.
»Natürlich nur zeitweilig. Wenn die Schwellung abklingt, wird der Knochen wieder eingesetzt.«
»Wird sie wieder ganz gesund?« fragte Bob, der sich dumm stellte.
»Das wird man abwarten müssen, Mr. Chan«, sagte die Ärztin, die die Augen verdrehte und mit dem Druckmechanismus ihres Kugelschreibers spielte. »Aber bei einer so schwerwiegenden Verletzung tun Sie gut daran, sich auf das Schlimmste gefaßt zu machen, obwohl wir natürlich hoffen, daß es nicht dazu kommen wird. Letztlich liegt das in Gottes Hand, und wir können nichts tun als beten.«
31. Mrs. Betty Doak
J aelene Shattle rang die Hände und runzelte die Stirn.
»Oh, Mr. Dollar, den ganzen Nachmittag haben Frauen hinter Ihnen hertelefoniert. Eine Mrs. Betty Doak hat zweimal angerufen und gesagt, daß Sie sich morgen mit Ihnen im Old Dog zum Lunch treffen will. Wissen Sie, das ist komisch, aber ich glaube, ich kenne sie. Ich glaube, sie hieß früher Betty Cream. Ich glaube, sie war mit mir zusammen auf der Schule in Wink. Mein Dad hat damals in Wink gearbeitet, in den Ölboomzeiten. Wir zogen dauernd um. Ein Jahr in Wink, ein Jahr in Midland, ein Jahr in Amarillo. Und die andere Frau hat gesagt, daß sie heute abend wieder anrufen wird. Die hat keinen Namen genannt. Ist Ihnen aufgefallen, wie schlimm es heute riecht?«
»Ja«, sagte Bob. Tatsächlich war der Geruch, den die Schweinefarm verströmte, ein scharfer, schier greifbarer, schwerer Ammoniakgestank, der in Augen und Kehle brannte. »Haben Sie je daran gedacht, Ihr Grundstück zu verkaufen?«
»Wer würde schon ein Grundstück in so einer Lage kaufen wollen? Du lieber Himmel!«
»Äh – ich denke mir, eine Schweinefarm würde es kaufen. Wissen Sie, daß Tater Crouch sich überlegt, sein Grundstück zu verkaufen?«
»Das darf nicht wahr sein! Dann wären wir zwischen zwei Schweinefarmen eingeklemmt? Das würde mein Mann nicht überleben. Er ist in diesem Augenblick wegen Atembeschwerden in der Klinik.«
»Wenn Sie verkaufen, können Sie wegziehen, irgendwohin, wo es keine Schweinefarmen gibt.«
»Wo soll das sein? In einer Stadt, nehme ich an. Wir sindLandmenschen und leben seit vier Generationen auf unserem Stück Land. Die Stadt ist nichts für uns. Wir waren hier glücklich, und mein Mann hat geschuftet und sein
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