Mitten in Amerika
will im Augenblick nicht verkaufen.«
»Verstehe«, sagte Bob, tunkte die Sauce auf seinem Teller mit einem Brötchen auf, trank seinen Kaffee aus und stand auf. »Muß weiter. Bis später, Cy«, rief er und ließ Jim Skin stehen, um ihm mit diesem Aufbruch zu verstehen zu geben, daß er, Bob, wußte, daß Jim Skin ein hinterhältiger Lügner war, der mit einer Erdgasfirma liebäugelte.
Der Parkplatz des Zentralklinikums in Amarillo war fast ganz besetzt, und Bob mußte sich mit der abgelegensten Ecke begnügen, in die der Wind ein buntes Sortiment von Blättern und Süßigkeitenverpackungen geweht hatte. Eine leere Öldose rollte unablässig hin und her.
An der Rezeption verstellte eine Glasvase voller verstaubter Seidenblumen mit ausgefransten Rändern den Blick auf eine Frau mit Brüsten vom Ausmaß schlaffer Basketbälle.
»Evelyn Chine? Oben in der Intensivstation. Da haben nur Familienmitglieder Zutritt. Sind Sie ein Verwandter?«
»Ja«, log Bob. »Ich bin ihr Bruder.« Und sofort begann er natürlich daran zu glauben.
»Hmm. Ihre Eltern sind gerade oben.«
»Mr. und Mrs. Chine? «
»Wer denn sonst?«
»Äh, ich bin nämlich ihr Stiefbruder. Aus Mrs. Chines erster Ehe. Ich warte hier, bis sie runterkommen. Ich will oben nicht stören.«
Die Frau sah ihn an, und auf ihrer Miene mischte sich Neugier mit Mißtrauen.
»Sind Sie Zeitungsreporter?« fragte sie plötzlich.
»Nein! Du lieber Himmel, nein! Waren denn welche hier?«
»Und ob!« sagte die Frau. »Schauen Sie jetzt nicht hin, aber die Leute da drüben beim Fenster, das sind alles Reporter. Man sollte direkt meinen, daß noch nie in Texas auf jemanden geschossen worden wäre, so wie die sich aufführen. Die Chines müßten bald kommen. Besuche auf der Intensivstation sind auf zehn Minuten beschränkt.«
Bob ging in den winzigen Blumenladen und kaufte eine gelbe Rose und einen Luftballon mit dem Aufdruck einer Katze aus einem Comic. Als er aus dem Laden trat, blickte er zu den Reportern hinüber; ein halbes Dutzend Leute mittleren Alters, die auf Stühlen lümmelten, sich die Nägel reinigten oder in Mobiltelefone sprachen. Er erkannte Babe Vanderslice, die Starreporterin des Banner , und hoffte, daß sie ihn nicht bemerkte. Aber was wäre schon dabei gewesen? Er konnte aus den unterschiedlichsten Gründen gekommen sein, obwohl Rose und Ballon ihn als Besucher eines Patienten identifizierten.
Die Türen des Aufzugs öffneten sich, und ein untersetztes Ehepaar trat heraus; das weiße Haar des Mannes war so frisiert, daß es ihm wortwörtlich zu Berge stand; beider Mienen waren gefaßt und düster. Die großbusige Rezeptionistin sah Bob an und nickte ihm zu.
Auf der Station wiederholte er seine Lügengeschichte und erfuhr, daß seine »Eltern« gerade gegangen waren.
»Jetzt dürfen Sie aber nur ein paar Minuten bleiben«, sagte die hübsche schwarzhaarige junge Krankenschwester, die wie ein Backfisch aus den zwanziger Jahren aussah. Sie hatte Grübchen, und das gefiel Bob.
Evelyn Chine lag bewußtlos in ihrem Krankenhausbett, mit einem Turban von Bandagen um den Kopf, das Gesicht entsetzlich geschwollen, beide Augen schwarz umrandet, verkrustetes Blut in einem Ohr. Eine große Batterie von Maschinen undGeräten kontrollierte ihren Puls, ihre Atmung, maß ihre Blutwerte, zeichnete ihre Hirnströme auf. Zum erstenmal wurde ihm klar, daß man ihr in den Kopf geschossen hatte. Ein nie gekanntes Gefühl übermannte ihn. Bisher hatte er in Evelyn Chine nur die Konkurrentin gesehen, doch als er sie nun hilflos und verwundet daliegen sah, malte er sich aus, wie er sie vor ihrer eigenen Tollkühnheit rettete, die sie in Lebensgefahr gebracht hatte. Jetzt hielt er sich nicht mehr für Evelyn Chines Halbbruder, jetzt war er ihr Geliebter, ihr Verlobter und – seine Phantasie überschlug sich wie die bunten Bälle in einer Bingomaschine – ihr Ehemann in den Flitterwochen. Er stellte sich vor, wie er an Evelyn Chine gebunden war, wie er gelobte, sie nie zu verlassen, wie er ihren Rollstuhl schob, ihr einen Kaschmirschal über die zerbrechlichen Schultern legte. Doch dann verschoben sich die Bilder, und er sah, wie er versuchte, ihren fühllosen Körper zu besteigen, wie er die willenlosen Arme und Beine zu exotischen und schändlichen Positionen anordnete. Er stellte die Rose auf den Tisch neben dem Bett und schrieb auf das weiße Kärtchen, das vom Vasenhals hing: »Alles Liebe, Bob«, küßte ihre geschwollene, fiebrige Wange und ging zum
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