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Mitten in Amerika

Mitten in Amerika

Titel: Mitten in Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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Kingsize-Zigaretten und Büstenhalter mit Körbchengrößen waren Neuheiten. Der Fortschritt war nicht aufzuhalten. Für van Melkebeek & Crouch gab es neue Arbeit, tiefe Brunnen und große Pumpen, als der Panhandle sich zu dem zu entwickeln begann, was »Goldenes Land« genannt wurde. Alles drehte sich um Bewässerungsmethoden und intensivierten Getreideanbau; Felder mit acht bis zehn Windrädern, die das Wasser in die Tanks pumpten, aus denen die Bewässerungsgräben bedient wurden, waren keine Seltenheit mehr, doch auch diese Wassermengen reichten nicht aus.
    »Unten, ganz tief unten soll es riesige Wasservorräte geben. Tiefer, als unsere kleinen alten Windräder pumpen können«, sagte Ace zu Habakuk.
    »Tja, da wird es müssen bleiben, bis sie haben bessere Pumpen, als wir haben.«
    Ace und Vollie wohnten in der ehemaligen Arbeiterbaracke auf dem Land der Eckensteins, und der Tag, an dem Ace Telefondraht vom Haupthaus zu der Baracke legte, wurde im Kalender rot angestrichen.
    Eines Tages hatte Ace einen Auftrag für Vollie. »Ich bin draußen bei den Wrinks«, sagte er. »Du müßtest für mich nach Amarillo fahren und in unserem Lager einen O’BannonZylinder abholen. Habakuk ist nicht da, aber José weiß Bescheid. Ich hab gerade mit ihm gesprochen. Er packt ihn dir auf die Ladefläche. Und du müßtest ihn mir auf die Farm bringen. Im Lager kann uns keiner helfen. José hat keinen Führerschein, und Wagen hat er auch keinen. Die anderen sind alle auf Montage. Deshalb mußt du mir das verdammte Ding bringen«, sagte er. »County Road J, und dann nördlich in dieWrink Road. Paß auf, daß du nicht in die Spurrillen gerätst. Und du mußt durch den Wrink-Bach fahren. Sollte kein Problem sein, du gibst einfach Gas und fährst durch, solider fester Kiesboden. Der Bach ist nur ein paar Handbreit tief. Und bei dem Schild der Wrink Ranch biegst du ab. Dann kommt ein Viehzaun und gleich dahinter eine feuchte Stelle mit einem großen Weidenbusch und hinter den Weiden eine tote Kuh im Graben, und da geht es nach rechts weiter, etwa eine halbe Meile, und dann kommt ein Zauntor. Das ist ziemlich schwer zu öffnen, aber ich schicke jemanden, der auf dich wartet und es dir aufmacht. Ich will nicht, daß du fährst wie ein Henker, aber den verdammten Zylinder hätten wir gern sobald wie möglich.«
     
    Der Ausflug nach Amarillo und die Fahrt zur Wrink Ranch dauerte zwei Stunden, doch Vollie war froh, aus dem engen kleinen Häuschen und von der Waschmaschine mit ihrer Dauerladung Windradschmieröl und Schaum wegzukommen.
    Sie hielt vor dem Tor. Es bestand aus Stacheldrahtsträngen, mit Krampen an einer Stange befestigt, die am Fuß und oben Drahtschlaufen festhielten. Es war das schwierigste, uneinnehmbarste Tor im ganzen Bundesstaat, und sein Erbauer hatte offenbar großen Wert darauf gelegt, ein Tor zu erfinden, das nur einer unter hundert Männern annähernd mühelos öffnen konnte. Vollie konnte keine der Schlaufen bewegen, nicht einmal die obere mit Hilfe eines schweren Schraubenziehers aus der Werkzeugkiste, die vor dem Beifahrersitz stand. Niemand war zu sehen, der ihr helfen konnte, das verdammte Ding zu öffnen. Sie zerrte mit aller Macht an der Stange, die sich kaum einen hundertstel Millimeter bewegte. Sie holte eine Brechstange aus dem Wagen und versuchte die Schlinge zu weiten. Sie war so straff gespannt, daß sie bei jeder Bewegung der Brechstange ein summendes Geräusch machte.
    Dann sah sie den Reiter durch das Gras auf sich zukommen.
    Zerzaust und außer Atem wartete sie auf ihn, die Finger gerötet und vom Draht zerfurcht.
    Als er näher kam, sah sie die Schweißflecken auf seinem blauen Hemd, die den Stoff fast schwarz wirken ließen. Er blieb am Tor stehen, stieg vom Pferd, ließ die Zügel schleifen. Er ergriff die Stange, drückte sie gegen den Torpfosten, schob die Schlinge mit dem Handballen nach oben, obwohl er drei-, viermal ansetzen mußte. Das Tor, dem die Spannung genommen war, löste sich in schlaffe Stränge auf. Er lächelte sie an.
    Sie schaute ihn an und sah Licht auf dem Wasser. Der Himmel loderte in schwarzen Sprüngen, und unwillkürlich trat sie einen Schritt auf ihn zu. Er war das schönste menschliche Wesen, das sie je erblickt hatte, der Richtige für sie. Kraftvolle Arme und Schultern in dem karierten Hemd, ein kantiges männliches Gesicht, rötliche Dreitagebartstoppeln voller Licht, schmale Augen, so eng zusammengekniffen, daß keine Farbe zu erkennen war, hinter dunklen Wimpern

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