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Mitten in Amerika

Mitten in Amerika

Titel: Mitten in Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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mit Teller, Eiswasser, einer Tasse Kaffee, verschüttete den Kaffee und kleckerte mit der Sauce. Da war er. Ihr war, als müsse sie ohnmächtig werden, weil sie ihm gegenübersaß, keinen Bissen hinunterbrachte, seine roten Hände mit den Warzen an den Fingern betrachtete, die das weiße Brot zerbröckelten und mit den Brotstücken die Sauce auftunkten. Er sah sie kaum an, unterhielt sich nur mit Ace über Wasser und Windräder.
    Zuletzt sagte Ace: »Habe gehört, daß ihr gerade eine Familie gründet. Stimmt das?«
    »Sieht ganz danach aus. War wohl zu erwarten, früher oder später.«
    Es dauerte Jahre, bis sie dieses Gefühl überwand, das ihr angst machte, Liebe möglicherweise oder was immer sie für ihn empfunden haben mochte. Wenn sie nach Nebel oder Regen eine Pflaume pflückte, die von Tautropfen benetzt war, mußte sie an ihn denken, an die heißen verschwitzten Tage damals in Texas.
    Ace’ und Vollies einziges Kind Phyllis war ein kapriziöses Geschöpf vom ersten Tag an, ein ungebärdiges, eigensinniges Mädchen mit herzförmigem Gesicht und dünnem, quiekendem Stimmchen. Als sie sechs war, konnte sie den kompletten Text von vier Schlagern singen – You Are My Sunshine, Barbecue Bob, The Panhandle Shuffle, Smoke! Smoke! Smoke! (That Cigarette) . Jeden Samstag bereitete Vollie nach dem Abendessen eine große Schüssel Popcorn zu, und sie hörten im Dunkeln die Hitparade, im Sommer draußen auf der Veranda, im Winter auf dem Doppelbett im Elternschlafzimmer, und Ace ermahnte Phyllis, mit dem Popcorn aufzupassen, weil er es leid war, morgens beim Aufstehen am ganzen Körper von den Hülsen gezeichnet zu sein. Auf den knarrenden, sonnengedörrten und verbogenen Verandadielen machten Ace und Vollie manchmal in Erinnerung an die samstäglichen Tanzveranstaltungen ein paar Tanzschritte, und Phyllis hielt sich an ihren Beinen fest und tanzte mit und sang die Liedertexte, die sie auswendig konnte.
    »Ich wette, du wirst später mal Sängerin«, sagte Ace.
    »Ja. Und du kommst mit und hebst mich auf die Bühne rauf«, sagte Phyllis.
    »Na, da wäre ich aber mächtig stolz«, sagte Ace, doch mit siebzehn riß Phyllis nach Tulsa aus in der Hoffnung, dort bei irgendeiner Gruppe als Sängerin unterzukommen.
    Phyllis mit neunzehn, auf dem Rand einer dünnen Matratze kauernd, das Gesicht so weiß wie Speck, mit zitternden Händen und in den Nachwehen eines Rauschs, der fast tödlich gewesen wäre. Der Mann zog seine Jeans hoch und schloß eine reichverzierte Gürtelschnalle, nicht ohne Schwierigkeiten, weil sie verbeult war.
    »Du hast mich von meiner schlimmsten Seite erlebt«, sagte sie.
    »Glaub ich nicht.« Er kannte sich aus mit Frauen von ihrerschlimmsten Seite. Er langte unter das Bettlaken, tastete nach etwas.
    »Hör mal, ich muß dich was fragen. Hast du –«
    »Nee. Du warst zu voll. Könnte ich gleich ’ne Leiche ficken.« Er zog die Stiefel über die nackten Füße. Er holte einen Kamm aus der Hemdtasche, fuhr sich damit durch das wirre Haar, nahm den Hut vom Lampenschirm, setzte ihn behutsam auf, zog die Krempe über die Augen.
    »Hast du aber. Hier unten ist alles naß.«
    »Nee.« Er hinkte zur Tür, ergriff den Gitarrenkasten, der an dem kalten Heizkörper lehnte. »Bis dann.«
    Die Tür wurde leise geschlossen, und sie hörte ihn die Holzstufen hinuntergehen. Sie stand auf, im Kopf das Hämmern nach dem Rausch, schaute zum Parkstreifen am Straßenrand hinunter. Unten tauchte er auf, perspektivisch verkürzt. Sie nahm an, daß er per Anhalter in die Stadt zurückfahren würde. Das Motel lag am westlichen Ende der Welt, der letzte Zufluchtsort. Er ging schnell, und sie sah in seiner Hand etwas blinken. Er ging auf den Mercury mit den verbeulten Kotflügeln zu, stieg ein. Aus dem Auspuff drang eine blaue Rauchwolke. Sie versuchte das klemmende Fenster zu öffnen.
    »Das ist mein Wagen! Du Schwein, das ist mein Wagen!«
    Er war auf dem Highway, fuhr in Richtung Norden nach Oklahoma, und sie hatte das Fenster noch immer nicht geöffnet.
    Sie setzte sich wieder auf den Bettrand und überlegte, ob sie die Polizei anrufen sollte. Sie entschied sich dafür, Ace anzurufen.
    »Dad. Ich habe jede Menge Probleme. Stell mir jetzt bitte keine Fragen. Ich bin im Oak Leaf Motel in Lubbock. Ich glaube, ich sollte nach Hause kommen, falls du und Ma mich aufnehmt. Ich habe eine Menge Scheiße gebaut. Abgebrannt bin ich auch. Vermutlich ausgeraubt. Und mein Wagen ist weg. Was? Geklaut.«
    Im Lauf der Jahre gab es noch

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