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Mitten in Amerika

Mitten in Amerika

Titel: Mitten in Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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verborgen. Sein dichtes dunkelrotes Haar lugte widerspenstig unter der Kappe hervor. Er war verschmutzt und schweißüberströmt, das Hemd hatte nur an den Schultern ein paar trockene Stellen, das kostbare Gesicht war gerötet, Schweiß lief an Wangen und Kinn hinunter in die nasse Höhlung über dem Schlüsselbein. Er schenkte ihr sein schnelles sorgloses Lächeln, schob das Tor auf, so daß sie durchfahren konnte, die aufgerollten Ärmel enthüllten muskelbepackte, behaarte Unterarme.
    »Ein störrisches Biest«, sagte er.
    Sie verzehrte sich danach, die nasse Höhlung an seiner Kehle zu berühren, verzehrte sich danach zu sagen: »Warte, das war alles ein Irrtum, ich konnte nicht wissen, daß du kommst, bitte, berühr mich, bitte, sieh mich an.« In ihrem Blut pochten unzählige feine Messerschneiden gegen die Haut, magnetisch von ihm angezogen. Willenlos ging sie auf ihn zu, als wollte sie ihm mit dem Tor helfen, doch er schob es zurück,entfernte sich von ihr, und sie sah den vollkommenen Körper in seinem Gleichmaß, ein großer Mann, herrliche Beine und Hinterbacken in den schmutzigen Jeans. Er hielt das Tor auf, und ihr blieb nichts anderes übrig, als in den Wagen zu steigen und durchzufahren. Sie hielt neben ihm an. Er war damit beschäftigt, die obere Schlinge mit einer Zange zu weiten. In der verschwitzten Höhlung an seinem Halsansatz verlief eine haarfeine Schmutzspur wie eine Kurve am Schlüsselbein entlang.
    »Ich danke Ihnen –« Ihr Blick war stechend, wie beißender Rauch, hatte nichts mit dem Tor zu tun.
    »Wette, Sie können es jetzt aufmachen«, sagte er.
    »Ich wette, Sie haben dieses Tor gebaut«, sagte sie. Er antwortete nicht, und sie fuhr über das erdfarbene Gras zum Windradgerüst, beinahe ohne zu lenken, sah im Rückspiegel zu, wie er an etwas auf dem Tor zerrte, wobei sein Ellbogen sich vor und zurück bewegte, und sah dann, wie er zu seinem Pferd ging, es bestieg, seine Kappe abnahm und sich mit der Hand über das Gesicht fuhr.
     
    Am Abend, als sie mit Ace auf der Veranda vor ihrer Baracke saß und sich mit ihm eine Flasche Bier teilte, sagte sie: »Der Typ, der mir das Tor aufgemacht hat, wer ist das?«
    »Oh, Ruby? Ruby Loving. Er singt manchmal bei den Spearman-Tanzabenden. Er arbeitet auf der Ranch, nichts Besonderes, obwohl er sich vor kurzem ganz schön verbessert hat. Vor zwei Wochen hat er geheiratet. Die Tochter des Ranchers. «
    Der Schmerz angesichts dieser Enthüllung ließ sie nach Luft ringen, und sie trank schnell einen Schluck Bier. Blindwütiger Haß auf die unbekannte Ranchertochter kochte in ihr auf.
    »Merken tut man davon bisher nichts, er baut immer noch Zäune, aber das wird sich schon noch ändern. Vermute, daß er früher oder später die Ranch übernehmen wird. Warumfragst du, hat er rumgemault, weil er das Tor aufmachen mußte? «
    »Nein. Nein. Er war nett. Er war nett . Aber er hat nicht gesagt, wie er heißt, das war alles.«
    »Ruby. Ruby Loving.«
    Nun, der Name paßte wie angegossen. Sie konnte sich niemanden vorstellen, der sich besser für die Liebe eignete. »Und wie heißt die Ranchertochter? «
    »Schatz, das weiß ich doch nicht. Nachname Lilian. Ihr Vater heißt John Lilian. Ihm gehört die Wrink Ranch. Aber ihren Vornamen weiß ich nicht.«
    Wenige Tage später wußte sie es. Wie nicht anders zu erwarten, lautete er Lillian – Lillian Lilian –, und wie nicht anders zu erwarten, wurde sie Little Lilly genannt. Sie war ohne Schuhe einsfünfundfünfzig groß, hatte strohiges orangerotes Haar und eine Brust wie ein Plättbrett. Gott sei Dank.
     
    Erst gegen Ende des Monats sah sie ihn wieder. Ace war mit den Wrink-Windrädern fast fertig. Es war ein schwüler Maitag voller Staub, den ein unsteter warmer Wind durch die Luft blies. Sie hörte einen Lastwagen in den Hof fahren und trat auf die Veranda. Im Lastwagen war es schattig, und sie konnte sein Gesicht zuerst nicht erkennen, auch den Lastwagen nicht. Er stieg aus, und in dem Moment, in dem sie ihn um den Kühler des Lastwagens herumkommen sah, drehte sich ihr der Magen um. Licht auf dem Wasser, eine schwarze Strömung, die sie fortriß. Sie ging die Stufen hinunter, stand ihm auf der Schattenseite des Wagens gegenüber.
    »Hallo, Mrs. Crouch«, sagte er. »Ace läßt Ihnen ausrichten, daß er nach Amarillo mußte und deshalb spät nach Hause kommen wird. Sie sollen sich keine Sorgen machen.«
    »Und warum? Ich meine Amarillo?«
    »Noch zwei Brunnen. Der Chef will noch zwei Brunnen machen

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